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Brüder der Drachen

Brüder der Drachen

Titel: Brüder der Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Weissbecker
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zerstreuten sich die Zuhörer ohne sich weiter um den Sänger zu kümmern. Jedes Mal blieb nur Rhya bei ihm zurück, und sie half ihm, die Gaben der Menschen einzusammeln.
    Sie lebten zusammen in einer winzigen Kammer, die eine Fischerfamilie ihnen angeboten hatte, denn die Priesterin stand auch bei den Bewohnern der Seestadt in hohem Ansehen. Immer drängender stellte Jandaldon sich die Frage, was der Engel ihm hatte sagen wollen. Er hatte festgestellt, dass er sich hier an diesem wunderbaren Ort seinen Lebensunterhalt mit seiner Musik verdienen konnte. Er hatte eine Frau gefunden, die dieses Leben mit ihm teilte, vielleicht für den Rest seines Lebens teilen würde, wenn er sie nur darum bäte. Und doch wäre es kein Leben, denn seine Schuld würde auf ihm lasten bis in alle Ewigkeit.
    Was aber war der Grund, weshalb er hier in der Stadt verweilte? Sollte dieser sagenumwobene Ort eine Lehre für ihn sein? Die Stadt hatte sich aus den Trümmern einer Katastrophe zu neuer Blüte erhoben – welcher Funke der Hoffnung hatte wohl die Menschen damals angetrieben, sich diesen sonderbaren Wohnort auszuwählen? Sollte er hier lernen, dass es immer eine Hoffnung gibt, dass aus jeder Katastrophe etwas Neues, Großartiges hervorzugehen vermag?
    Jandaldon schüttelte den Kopf, während er seine Laute in ihre Schutzhülle schob, denn er ahnte, dass er wieder keine Antworten auf seine Fragen bekommen würde. Schon stand die Sonne weit im Westen und näherte sich unaufhaltsam der sanft gekräuselten Wasserfläche. Der Goldene See – während seiner Reise mit Rhya hatte Jandaldon mit diesem Namen Sagen von Gold und versunkenen Schätzen verbunden, doch nun wusste er, warum der See so genannt wurde. Das Abendlicht verwandelte das Wasser in flüssiges Gold, und Jandaldon versäumte keine Gelegenheit, diesem Schauspiel beizuwohnen. Der größte Teil seines Publikums hatte sich schon zerstreut, während er noch vor sich hin gegrübelt hatte. Ein paar Ghyas waren auf der freien Fläche gelandet und krabbelten, auf ihre Beine und ihre ledrigen Flügel gestützt, über den hölzernen Boden, auf der Suche nach Überbleibseln der Menschen.
    Nur ein paar Kinder standen noch neugierig um Jandaldon herum, als Rhya mit einem kleinen Korb auf ihn zutrat.
    »Du hast uns wieder mit mehr Nahrung versorgt, als wir verspeisen können«, sagte sie lächelnd. »Du könntest mit deiner Musik eine kleine Familie ernähren.«
    »Hmm«, sagte Jandaldon. »Solange ich in dieser Stadt verweile, könnte ich das wohl. Doch wir beide wissen, dass ich irgendwann wieder aufbrechen muss – und in der Öde dieses Landes nutzen meine Lieder nur wenig.«
    »Ein Lied ist immer von Nutzen«, sagte Rhya, »denn es öffnet einen Weg in die Herzen der Menschen.«
    »Es ist schade, dass ich der einzige Sänger an diesem Ort bin, denn so gibt es niemanden, der mein Herz öffnen könnte.«
    »Verzage nicht!« Rhya stellte ihren Korb beiseite, um den Sänger mit beiden Armen zu umfangen. »Ich werde bei dir bleiben, bis du den Weg findest, der dich aus deinem Kummer herausführt.«
    »Aber wie lange mag dies noch dauern?«
    »Vielleicht kann dir dieser Mann dort mehr sagen als ich. Sieh, er kommt zu uns herüber.«
    Jandaldon blickte in die Richtung, die Rhya ihm wies, und er sah einen bärtigen Mann im silbergrauen Gewand eines Priesters, der sich ihm zielstrebig näherte. Der Mann mochte kaum älter als zwanzig Jahre sein, doch sein üppiger Vollbart und der kahl geschorene Schädel gaben ihm ein wildes und verwegenes Aussehen. Seine Arme, die aus dem Gewand hervorschauten, waren muskulös und gebräunt von der Sonne. In seiner Hand lag ein langer, kräftiger Holzstab, der sowohl ein Amtssymbol als auch eine Waffe sein mochte. Trotz seines dunklen Bartes war nichts Düsteres an seiner Erscheinung, denn ein Lächeln war auf seinen Lippen, und seine Augen blitzten fröhlich, als er auf Jandaldon zutrat, die Hand zum Gruß ausgestreckt.
    »Seid gegrüßt«, sagte er, »und erlaubt, dass ich mich vorstelle. Sad Olgar werde ich genannt, und ich diene im hiesigen Tempel. Vermute ich richtig, dass Ihr aus dem Norden stammt?«
    »Eure Vermutung ist richtig«, antwortete Jandaldon, während er die dargebotene Hand fasste. »Jandaldon ist mein Name, und dies ist meine Gefährtin Rhya.«
    »Ich kenne Eure Gefährtin, denn sie ist nicht zum ersten Mal in dieser Stadt.« Der Priester lächelte Rhya freundlich an, bevor er sich wieder dem Sänger zuwandte. »Doch Euer Lied hat mich

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