Brüder der Drachen
Danira nun weiter, die schmale Treppe hinauf, die sie auf das Deck hinausführte. Für einen Moment glaubte sie, immer noch das Singen zu hören, das ihren Traum begleitet hatte, doch als sie ins Freie trat, war alles ruhig bis auf das leise Knarren des Schiffes und die Geräusche der Wellen.
Der Himmel war sternenklar, und die beiden Himmelswanderer, die weit im Westen standen, gossen ihr unwirkliches Licht über das Schiff. Ein Mann stand am Steuer, ein weiterer Matrose war als Ausguck am Bug. Es waren nur wenige Segel gesetzt – gerade genug, um das Schiff auf Kurs zu halten. Das Licht der Himmelswanderer spiegelte sich auf dem Wasser des Meeres, das sich in sanften Wellen kräuselte. Der rote Eril-Angoth beherrschte den westlichen Himmel mit seinem hellen Schein. Der größere Eril-Firion war blasser als gewöhnlich, und schon schien Eril-Angoths Licht sich in das Auge des Wächters hineinzufressen. Ein Zittern lief durch Daniras Körper, als sie sich an ihren Traum erinnerte. Sie riss ihre Augen von den Himmelswanderern los, und ihr Blick schweifte weiter in Richtung auf Carallas leuchtendes Band, das sich hell über den Himmel zog. Sie fand Thenar, den Hellen, den Terilo ihr gezeigt hatte, und ein wenig abseits von diesem strahlte Crannth in seinem roten Licht. Schließlich fand sie Vradil – nur ein winziges funkelndes Pünktchen, doch sein Licht gab ihr Zuversicht. Für eine Weile stand Danira schweigend an den Mast des Schiffes gelehnt, bevor sie sich wieder auf dem Deck umsah. Erst jetzt bemerkte sie eine weitere Gestalt, die nahe dem Heck des Schiffes an der Reling lehnte. Es war Timon – reglos stand er dort, den Blick aufs Meer gerichtet. Danira trat neben ihn und legte eine Hand auf seine Schulter.
»Woran denkst du?«, fragte sie.
Nur langsam wandte Timon den Blick seiner Gefährtin zu. Obwohl sie sich leise genähert hatte, schien er weder überrascht noch erschreckt.
»Ich denke an eine Reise, die ich vor langer Zeit gemacht habe«, sagte er schließlich. »Es muss zu der Zeit gewesen sein, als ich in Car-Niëllath lebte. Ich habe oft vom Hafen der Stadt aufs Meer hinausgeblickt und mich gefragt, wie viele andere Küsten es auf dieser Welt noch geben mag. Küsten, von denen die Menschen hier nichts wissen.«
»Es gibt das Land im Norden, von dem wir kommen, und das Land im Süden, das wir bald erreichen werden. Welche anderen Küsten sollte es geben?«
»Welche anderen Küsten?« Timon lachte leise. »Nicht nur andere Küsten gibt es – andere Länder und Kontinente mögen dort draußen liegen, ohne dass wir sie auch nur erahnen.«
»Du hast von einer Reise gesprochen.« Nachdenklich blickte Danira zu Timon hin, der wieder unbewegt hinaus aufs Meer schaute. »Hast du nach diesen Ländern gesucht?«
»Ja, ich habe sie gesucht, und zumindest eines habe ich gefunden. Nach Osten sind wir gesegelt, immer weiter nach Osten. Das Meer war rau dort, und immer wieder brachen Stürme über uns herein. Und schließlich sahen wir die Küste vor uns – eine steile, felsige Küste.«
»Und du hast dieses Land gesehen? Gibt es auch dort Menschen?«
»Ich weiß es nicht.« Timons Stimme klang traurig. »Mein Schiff zerschellte an der Küste, und ich starb in der fremden See.«
»Es ist schön zu wissen, dass es dort draußen noch ein anderes Land gibt.« Danira sah nach Osten, in die Richtung, in die auch Timon seinen Blick gewandt hatte. »Vielleicht gibt es dort einen Ort, an den die Menschen fliehen können, wenn Thaur-Angoths Diener siegreich bleiben.«
»Vielleicht«, sagte Timon. »Eines Tages werde ich erneut versuchen, dieses Land zu erforschen – manchmal träume ich von ihm.« Endlich wandte Timon seinen Blick vom Horizont ab, um direkt in Daniras Augen zu sehen. »Immer wieder sehe ich den gleichen Ort – eine Hütte unter einem Berg. Und ein seltsames Gesicht – eine Frau, fremdartig und doch schön. Eine große Macht geht von ihr aus.«
»Ist es das, was du tun willst, wenn wir dieses Abenteuer überstehen?«
»Ja, es ist eines der Dinge, die ich tun will.«
»Vielleicht wirst Du dieses Land irgendwann wirklich sehen.« Danira lächelte verlegen, verwirrt von Timons Blick und dem Glanz in seinen Augen. »Auch deine Träume von der Stadt der Geister sind in Erfüllung gegangen.«
»Ja – doch diese Träume waren keine Trugbilder, sondern Erinnerungen. Das Land im Osten habe ich nie betreten, denn mein Schiff zerschellte schon vor der Küste.«
»Ich hatte auch einen Traum«,
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