Brüder der Drachen
Nacht wiedergekehrt und hatte erst geendet, als sie die Nähe der Küste erreicht hatten.
In diesem Land schien man sicher zu sein vor den merkwürdigen Kreaturen des Meeres und auch vor den Dämonen der Lüfte. Nur aus den wilden Gegenden tief im Landesinneren gab es Erzählungen über finstere Kreaturen der Nacht, hier an der Küste jedoch betrachteten die Menschen den Untergang der Sonne ohne Sorge. Danira bedauerte, dass das Meer nicht auch den westlichen Horizont erfüllte, denn sie hätte gerne gesehen, wie die Sonne im Meer versank, so wie damals in Car-Elnath. Trotzdem war sie hierhergekommen, wie auch schon am Abend zuvor. Sogar von ihrem Schwert hatte sie sich getrennt, denn Car-Danaan erschien ihr ruhig und friedlich, weit entfernt von der dunklen Bedrohung im Norden.
Sie hatte sich einen abgeschiedenen Platz am Rand des Hafenbeckens gesucht, und bisher hatte keiner der Menschen sie beachtet. Die Fischer gingen geschäftig ihrer Arbeit nach, machten ihre Boote bereit für die nächste Fahrt oder saßen am Ufer, um ihre großen Netze zu reparieren. Plötzlich schreckte Danira auf, als sie Schritte hörte, die sich ihr näherten. Widerwillig wandte sie sich vom Sonnenuntergang ab, um dem unerwarteten Besucher entgegenzublicken.
Ein Mann war an sie herangetreten, einer der Seeleute offensichtlich, denn er war sonnengebräunt und trug einfache, zerschlissene Kleidung. Er war sehr schlank, doch kräftige Muskeln zeichneten sich an seinen Armen ab, die aus einer ärmellosen Weste hervorragten. In seiner rechten Hand hielt er eine Tonflasche. Seine Haare waren kurz geschnitten, und ein großer goldener Ring baumelte von seinem rechten Ohr herunter. Ein langes Schwert hing in einer schäbigen Lederscheide an seinem Gürtel. Beunruhigt erkannte Danira, dass der Mann direkt auf sie zutrat und sie mit düsterem Gesichtsausdruck musterte.
»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte er, und ein müdes Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Darf ich mich zu dir setzen?«
»Ja.« Danira zuckte mit den Schultern und betrachtete den Fremden mit gerunzelter Stirn. Einen Moment überlegte sie wegzugehen, doch der Mann erschien nicht aggressiv oder gefährlich. Allerdings schien er kein friedliches Leben zu führen, denn Spuren von Kämpfen oder Unfällen zeichneten seinen Körper. Eine breite Narbe zog sich über seinen Oberarm, und als er näher trat, bemerkte Danira, dass er sein rechtes Bein nur mühsam bewegen konnte. Er setzte sich schwerfällig auf den Rand der Mauer, vielleicht zwei Schritte von Danira entfernt, und blickte nachdenklich zu ihr hinüber.
»Ich sitze gerne hier, abends, wenn die Sonne untergeht«, sagte er. »Als ich gestern hierherkam, hast du bereits auf dieser Mauer gesessen. Ich habe mir einen anderen Platz gesucht, denn ich wollte allein sein. Jetzt bist du wieder hier, und ich frage mich, ob ich mir von nun an jeden Abend einen anderen Ort suchen muss.«
»Das tut mir leid«, sagte Danira. »Auch ich wollte gerne allein sein, und dies hier ist ein guter Platz dafür.«
»Ja, es ist ein schöner Ort«, sagte der Mann. »Aber noch schöner wäre es, wenn man sehen könnte, wie die Sonne im Meer versinkt.«
»Das Gleiche habe ich auch gerade gedacht.« Danira lächelte zu dem Mann hinüber, und noch einmal blickte sie ihn voller Neugier an. Trotz seiner Narben und seines verwegenen Aussehens erschien er gutmütig, und ein trauriger Ausdruck lag in seinen Augen. Schmerzlich besann sie sich, dass auch ihr eigener Arm von einer Narbe geziert wurde, dort, wo die Klaue des Dämons sie verletzt hatte.
»Vielleicht spricht nichts dagegen, wenn wir den Sonnenuntergang heute gemeinsam betrachten«, sagte er. »Halfas ist mein Name, ich bin Kapitän. Das dort drüben ist mein Schiff, der Sturmvogel.«
»Ich heiße Danira.« Sie folgte mit ihrem Blick seiner fahrigen Geste, mit der er auf das Schiff zeigte, das neben dem Seedrachen lag.
»Lebst du hier, in Car-Danaan?«, fragte er.
»Nein, ich komme aus dem Norden, ich bin nur auf der Durchreise.«
»Durchreise?« Mit hochgezogener Augenbraue sah Halfas das Mädchen an. »Willst du an der Küste entlang nach Car-Gonaredh oder führt dein Weg weiter in den Süden? Es ist kein sehr gastliches Land.«
»Ich weiß es noch nicht. Wir suchen einen Freund, und wir hatten gehofft, ihn hier zu finden. Wenn er nicht in dieser Stadt ist, werden wir bald weiterziehen.«
»Wer ist dieser Freund, den ihr sucht?«
»Genau genommen ist es kein Freund –
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