Brüder der Drachen
Tageslicht, das nicht tief in den Stall eindringen konnte, war ein glitzernd weißer Stützbalken zu erkennen. Vom Boden bis zum Dach war er mit Reif überzogen.
»Tynbar!«, rief Herubald mit lauter Stimme zu dem Gasthaus hin, wo der Wirt noch an der Tür stand, um seine Gäste zu verabschieden. »Wir brauchen eine Laterne oder eine Fackel. Schnell!«
Aus dem Dunkel hörte man nun lauter das klagende Heulen der Echsen.
»Lass uns warten, bis wir Licht haben«, sagte Herubald, leiser nun und an Loridan gewandt. »Diese Kälte ist nicht natürlich – irgendein Zauber ist hier am Werk.«
»Wir müssen uns beeilen«, erwiderte Loridan. »Baradin könnte in dem Stall sein.«
Tan-Thalion fühlte, dass seine Stunde gekommen war. Er streckte seine Rechte aus und sprach mit leiser Stimme ein Wort der Macht, um eine Lichtkugel zu erschaffen, die sofort über seiner Hand entstand und die Umgebung mit einem stetigen weißen Licht erhellte. Befriedigt sah der Zauberer das Staunen in den Augen der Ritter, als er nach vorne trat.
»Lasst uns gehen«, sagte er. »Ihr braucht nicht auf eine Laterne zu warten.«
»Es ist manchmal gut, einen Zauberer bei sich zu haben«, sagte Herubald. »Wisst Ihr, womit wir es hier zu tun haben?«
»Noch nicht, aber wir wollen es herausfinden.« Tan-Thalion hielt sich dicht hinter den beiden Rittern, als diese mit gezogenen Schwertern weiter in das Gebäude vordrangen. Überall an den Wänden glitzerte das Licht des Zauberers auf kleinen Eiskristallen. Aus den einzelnen Buchten des Stalls blickten ihnen ihre Echsen entgegen, die das plötzliche Licht mit kurzen Klagelauten begrüßten.
»Seht dort«, sagte Loridan, und er beschleunigte seine Schritte, um sich einem unförmigen Bündel zu nähern, das auf dem strohbedeckten Boden lag. Sie sahen schnell, dass es eine zusammengekrümmte Gestalt war, und die beiden Ritter beugten sich zu dem Mann hinunter.
»Es ist Baradin – er lebt«, sagte Herubald. »Bringt ihn nach draußen.«
Erst jetzt bemerkte Tan-Thalion, dass auch die anderen Gefährten ihnen gefolgt waren. Eilig schob Gerric sein Schwert in die Scheide, um gemeinsam mit Tirandor den Besinnungslosen aus dem Stall zu ziehen. Die beiden Drachentöter drangen weiter in das Gebäude vor, mit gezückten Schwertern blickten sie in alle Buchten des Stalls. Überrascht stellte Tan-Thalion fest, dass auch Sad Adan bei ihnen war und sich misstrauisch umsah. In der Hand hielt der Priester einen Dolch, der bisher unter seinem Kapuzenmantel verborgen gewesen war.
»Es scheint niemand hier zu sein«, sagte Herubald schließlich. »Wir müssen nun die Echsen nach draußen bringen.«
Als sie zum Eingang des Gebäudes kamen, fanden sie Tirandor vor, der im Licht einer Laterne, die der Wirt inzwischen herbeigebracht hatte, den immer noch bewusstlosen Baradin untersuchte.
»Er ist stark unterkühlt«, sagte der Heiler nach einer Weile. »Doch sein Puls und seine Atmung sind kräftig. Er braucht jetzt Ruhe und Wärme, wir müssen ihn ins Haus bringen.«
»Tut das«, sagte Herubald. »Tynbar soll Euch helfen und ein Zimmer für Baradin frei machen.«
Während die beiden Ritter und Gerric die Echsen ins Freie brachten und an einem Zaun festbanden, trat Tan-Thalion noch einmal an die Tür des Stalls heran. Im Schein seines magischen Lichts sah er unter den schmelzenden Eiskristallen ein Symbol, das in das Holz geritzt worden war. Genau auf seiner Augenhöhe befand es sich, und es maß etwa einen Fuß in seiner Breite und Höhe – ein horizontal geschwungener Strich, von dessen Mitte eine blitzartig gezackte Linie nach unten abzweigte. Zwei kleine Verästelungen befanden sich an deren unterem Abschnitt. Regungslos verharrte der Zauberer, während er über die Bedeutung des Symbol nachsann. Er wandte sich erst um, als er eine Bewegung dicht neben sich wahrnahm. Sad Adan war zu ihm getreten, den Blick auf das Symbol gerichtet, und seine Miene drückte große Verwunderung aus.
»Kennt Ihr dieses Zeichen?«, fragte der Zauberer.
»Nein«, erwiderte Sad Adan leichthin. »Wisst Ihr etwas darüber?«
»Vielleicht, aber ich bin mir nicht sicher.« Tan-Thalion spürte den lauernden Blick des Priesters auf sich ruhen, und ein unbestimmtes Gefühl sagte ihm, dass dieser mehr wusste, als er zu sagen bereit war. Als Loridan sich ihnen näherte, zuckte Sad Adan mit einer Schulter und wandte sich ab.
»Was habt Ihr, Tan-Thalion?«, fragte der Ritter, als er herangekommen war. »Könnt Ihr Euch inzwischen
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