Brüder der Drachen
Seefahrer.
»Tu, was du willst, aber vergiss nie unsere hohe Berufung.« Der Einäugige zögerte kurz. »Es gibt noch eine andere Sache zu besprechen. Am Tag von Tan-Thalions Abreise habe ich auf dem Burghof ein Mädchen getroffen, vielleicht vierzehn Jahre alt, und sie trug ein Amulett, das einer Thrya-Rune ähnelte. Sie sagte, dass sie es von einer Frau auf dem Markt gekauft hat, dies halte ich allerdings für eine Lüge. Wie denkt ihr darüber?«
»Wie groß war die Ähnlichkeit mit der Thrya-Rune?«, fragte der junge Zauberer. »Könnte es ein Zufall sein?«
»Die Ähnlichkeit war groß, nur einer der drei schrägen Zweige fehlte.«
»Das ist seltsam, denn ohne den dritten Zweig verliert die Rune ihren Sinn. War das Amulett vielleicht beschädigt?«
»Nein, Zwei «, erwiderte der Einäugige. »Ich habe genau hingesehen, aber es war keine Bruchstelle zu erkennen. Außerdem bestand das Amulett aus Holz, es würde also sowieso nicht wirken.«
»Nun, dann ist es vielleicht doch ein Zufall – oder war an dem Mädchen sonst noch etwas Besonderes?«
»Ja, ihre Ausstrahlung – die Mächte des Lichts schienen stark in ihr zu sein. Ich denke, sie ist eine der Reinen.«
»Eine Reine? Dann müssen wir der Sache unbedingt nachgehen. Weißt du, wer sie ist?«
»Ja, Loridan und ein Bote des Königs haben sie in Car-Elnath aufgelesen. Sie lebt jetzt auf Loridans Landgut in Ber-Eliath. Das ist ein weiterer Umstand, der mich beunruhigt – auch Loridan hat eine starke Aura des Lichts, und sein Zusammentreffen mit dem Mädchen ausgerechnet im Jahr der Konjunktion erscheint mir mehr als ein Zufall zu sein.«
»Wir sollten zunächst in Erfahrung bringen, woher das Amulett stammt.« Der junge Mann in der blassblauen Robe dachte kurz nach. »Vielleicht sollten wir einen Kundschafter entsenden, der dem Mädchen einen Besuch abstattet. Wahrscheinlich beruht die Sache nur auf einer unvollständigen Überlieferung, deren Sinn den Menschen nicht mehr bekannt ist, aber wir müssen natürlich Sicherheit erlangen. Wir dürfen es nicht riskieren, dass die Runenschmiede uns nach zweihundert Jahren des Schlafes erneut überraschen.«
»Du hast recht, Zwei , wir sollten einen Kundschafter schicken. Oder gibt es noch andere Vorschläge?« Der Einäugige wandte sich an die beiden anderen Männer, die jedoch nur die Köpfe schüttelten.
»Wollen wir uns morgen treffen, um den Kundschafter zu beschwören?«, fragte der Seefahrer.
»Nein, die nächsten Tage werden die beiden Heerführer des Königs noch in der Stadt verweilen, und der König erwartet meine Anwesenheit bei den abendlichen Trinkgelagen. Auch wenn Gweregons Gefasel unerträglich ist, will ich die Gelegenheit zumindest nutzen, um die beiden Fürsten noch ein wenig anzustacheln. Palaris würde lieber heute als morgen einen Krieg beginnen, aber Istaron zaudert noch, und das ist nicht gut für uns. Je mehr Menschen in dem Krieg sterben, umso leichter wird unsere Aufgabe sein. Die Beschwörung des Kundschafters kann ein paar Tage warten. Ich werde euch zusammenrufen, wenn es soweit ist.«
*
»Niemand kann genau sagen, wo das Land der Menschen endet und das Reich der Drachen beginnt«, sagte Herubald. »Doch wir müssen davon ausgehen, dass wir uns nun im Drachenland befinden und uns entsprechend verhalten.«
Das silberne Licht Eril-Firions schimmerte auf dem Helm des Drachenritters, der auf seinem reglosen Craith saß, während die restlichen Gefährten an ihm vorüberritten. Tan-Thalion blickte beklommen zum Himmel hinauf – über ihnen funkelten die Sterne in klarem Licht, nur weit im Süden waren sie von dunklen Wolken verdeckt. Kein Anzeichen wies auf die Nähe von Drachen hin, und auch ihre Reittiere zeigten keine Unruhe, aber der Zauberer ahnte, dass die Drohung eines plötzlichen Angriffs von oben sie von nun an ständig begleiten würde.
Die beiden Drachenritter bildeten Vorhut und Nachhut des Zuges, düstere Silhouetten in ihren schwarzen Mänteln. Zwischen ihnen ritten die übrigen Reisenden in angespannter Ruhe, ihre Aufmerksamkeit mehr dem Himmel als ihren Begleitern zugewandt. Der Weg, den die Reisenden einschlugen, stieg merklich an und führte zunächst durch offenes Land. Immer wieder ertappte Tan-Thalion sich dabei, wie er ängstlich um sich blickte. Dabei fiel ihm auf, dass Tirandor, der hinter ihm ritt, völlig ruhig erschien und leise vor sich hin summte. Der Zauberer war erleichtert, als sie sich nach mehr als zwei Stunden dem Saum eines Waldes
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