Brüder Des Zorns
zahlreiche, weniger gleichmäßige Narben im Kampf, auf der Jagd oder während der Ausbildung zugezogen. Die vollen Lippen waren von einem Jadepflock durchbohrt, und die Zähne bedeckten spitze Bronzekappen. Goldene Ringe baumelten in den Ohrläppchen, an der Nase und den Brustwarzen.
Heute Morgen hatte sie ihren Körper in den Farben des Dschungels bemalt. Nur die klaren grauen Augen leuchteten in der Maske aus Braun, Grün und Schwarz. Am Gürtel der Frau hing ein Messer in einer Lederscheide, und in der Hand trug sie ihre Lieblingswaffe: einen kurzen Speer mit schlanker, sechs Zoll langer, scharfer Stahlspitze. Nur die weiblichen Krieger in Gasams Heer besaßen Stahlwaffen. Pirscherin mochte weder Äxte noch Schwerter, sie zog ihnen den eleganten Speer vor.
Während sie mit der Lautlosigkeit einer Raubkatze durch den Dschungel glitt, dachte sie an ihren neuesten Liebhaber. Er gehörte zu den jungen Shasinnkriegern, und sein drahtiger, muskulöser Körper und die unermüdliche Bereitschaft passten gut zu ihrem barbarischen Liebeshunger. Ihr Körperschmuck erregte ihn, und während sie sich wie wilde Tiere paarten, glitten seine Hände fortwährend über ihre stark hervortretenden Narben. Er spießte sie beim Liebesakt auf, wie er seine Feinde mit dem Speer aufspießte, und ihre Vereinigung glich meistens einem Ringkampf und war nicht weniger gewalttätig. Für ihn war sie sogar bereit, das Tierfett vom Körper zu schrubben und sich mit dem Faustnußöl einzureiben, das die Shasinn so sehr liebten.
Die Gedanken an ihren Liebhaber verflogen, als sie vor sich eine Bewegung wahrnahm. Sofort blieb sie reglos wie eine Statue stehen. Wieder bewegte sich etwas. Ein Hauch kupferner Haut tauchte in etwa fünfzig Schritten Entfernung in einer winzigen Lücke zwischen den Blättern auf, verschwand und erschien ein paar Fuß weiter rechts erneut. Ein Mensch. Die Hautfarbe verriet ihr, dass es kein Mitglied des Heeres war, das dort durch den Busch schlich.
Ihr Puls schlug schneller. Ein Feind, den sie töten würde. Behutsam schlich sie voran und wandte sich leicht nach rechts. Sie wollte hinter dem Fremden auftauchen, ehe sie ihm zu nahe rückte. Das konnte sie ausnehmend gut und verdankte dieser Fähigkeit ihren Namen. Sobald sie sich hinter ihm befand, kreuzte sie seinen Weg. Ihr Opfer galt hier sicherlich als erfahrener Buschmann, aber in ihren Augen hinterließ er eine so deutliche Fährte, als sei eine Nuskherde durch den Dschungel getrampelt. Ein abgerissenes Blatt, ein zerbrochener Zweig, achtlos beiseite geschoben, ein umgedrehter. Stein, dessen feuchte Unterseite nach oben zeigte, der würzige Geruch eines zertretenen Krautes – für Pirscherin deutliche, unübersehbare Zeichen. Einmal entdeckte sie sogar den Abdruck eines sandalenbewehrten Fußes. Sie unterdrückte ein verächtliches Schnauben. Schuhwerk im Dschungel hielt sie für ebenso unnötig wie Zeremoniengewänder in der Schlacht.
Als sie dem Fremden näher kam, öffnete sie den Mund, um lautlos durchzuatmen. Dann erreichte sie eine Lichtung und sah ihr Opfer deutlich vor sich. Es war ein kleiner, gedrungener Mann mit rötlicher Haut und struppigem schwarzem Haar. Er trug einen Lendenschurz aus Leder, dessen kunstvoll verzierte Vorderseite bis zu den Knien reichte, und eine Halskette aus glänzenden Steinen. Im Gürtel hing ein kurzer Dolch, und eine kleine Kriegsaxt mit steinernem Kopf war fest an das rechte Handgelenk gebunden. Die Sandalen schmiegten sich wie eine zweite Haut an die Füße.
Er sah sich nach allen Seiten um und bog vorsichtig ein paar Farnwedel auseinander. Jetzt vernahm man das Stampfen des heranrückenden Heeres. Er hatte sich einen guten Beobachtungsposten ausgesucht. Während der Spion reglos abwartete, schlich Pirscherin sich an. Ein Muskel seitlich seines Mundes zuckte, als rede er mit sich selbst, aber sie vernahm keinen Laut. Anscheinend zählte er die Truppen. Ihr Verdacht bestätigte sich, als er die linke Hand bewegte und mit den Fingerkuppen auf den Daumen tippte, wie es viele Menschen machten, wenn sie etwas zusammenzählten. Handelte es sich um einen ausgebildeten Spion oder bloß um einen Bauern, der wusste, wie man Vieh zählte? Pirscherin glaubte, einen Spion vor sich zu haben. Außer gut ausgebildeten Spähern gab es nur wenige Leute, die gleichzeitig gute Krieger, Jäger und Hirten waren.
Sie hätte seinen breiten Rücken mit dem Speer durchbohren können, wollte aber in Erfahrung bringen, wie dicht sie an ihn
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