Brüder Des Zorns
ihr Handwerk verstanden. Sie hatte sie durch die Königin von Neva angeworben. Ihre königliche Schwester freute sich, Handel und friedliche Unternehmungen zu unterstützen, zog aber bei militärischen Vorhaben die Grenze.
Bisher sah die Brücke noch nicht wie eine Brücke aus. Überall standen Pfähle im Wasser, und Brückenpfeiler waren bereits fertig gestellt, aber der erste Bogen war von so vielen Holzgerüsten umgeben, dass die schönen Steine kaum zu sehen waren. Im Fluss war ein riesiges Floß verankert, auf dem ein hoher Kran ruhte. Der Kran wurde durch ein Rad angetrieben, welches wiederum von zahllosen Sklaven betätigt wurde. Am Hebearm des Krans hing der mächtige, keilförmige Schlussstein, der den ersten Bogen vollendete. Arbeiter zerrten an den Seilen, um den schweren Stein im Gleichgewicht zu halten, während er sich Zoll für Zoll senkte.
Sämtliche Zuschauer hielten den Atem an, als nur noch wenige Handbreit Platz blieben. Ein Vorarbeiter brüllte Befehle und fuchtelte heftig mit den Händen, aber die Arbeiter schenkten ihm keine Beachtung und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre schwierige Aufgabe. Der Stein musste haargenau eingesetzt werden, da es keine Möglichkeit gab, ihn zu verrücken, wenn er erst einmal an seinem Platz saß.
Nachdem es geschafft war, brachen die Arbeiter in Jubelrufe aus, in die das Publikum am Ufer einstimmte. Die Baumeister und der Aufseher atmeten erleichtert auf. Dann wischte sich der Aufseher den Schweiß von der Stirn und wandte sich der Königin zu.
»Es ist vollbracht, Gebieterin. Jetzt nehmen wir die Gerüste ab. Morgen um diese Zeit wirst du den ersten Bogen in seiner ganzen Schönheit bewundern können.«
»Gut gemacht, ihr alle!« lobte sie so laut, dass die Arbeiter sie auch hörten. »Beendet die übrigen Bogen ebenso gut, und eure Königin wird euch reich belohnen.« Erneuter Jubel. Männer waren leicht zufrieden zu stellen, dachte Larissa, selbst wenn sie so harte Arbeit leisteten.
In bedeutend besserer Stimmung als zuvor kehrte sie zum Palast zurück. Die Kopfschmerzen verschwanden, und sie war sehr zufrieden. Die Brücke war ihre Idee gewesen. Sie hatte den Bau beschlossen und erlebte jetzt, welche großen Fortschritte er machte. Ihr Gemahl genoss Ruhm und Macht. Larissa freute sich hingegen über sichtbare Erfolge. Ruhm und gewonnene Schlachten waren vergänglich, wie die Namen der vergessenen Könige, deren Statuen überall herumstanden. Ihre Brücke, die Märkte und der Hafen würden viele Jahrhunderte überdauern. Wenn sie ihr Vermächtnis betrachtete, erfüllte sie tiefste Zufriedenheit.
Eines hatte sie gelobt: Sie würde keine Tempel bauen. Es gab schon zu viele davon, und trotz ihres Prunkes waren sie völlig nutzlos. Sie mochte weder Priester noch Götter. Manche Tempel in dieser Stadt waren wunderschön und ehrfurchtgebietend, aber sie stießen Larissa ab. Noch immer empfand sie Respekt vor den Geistern der heimischen Inseln, aber da sie die meisten ihrer Gebote gebrochen hatte, versuchte sie, nicht daran zu denken.
Als sie den Palast betrat, erhoben sich zwei Männer von einer Bank. In jener Eingangshalle empfing die Königin für gewöhnlich Bittsteller. Gerade wollte sie ihnen sagen, ein anderes Mal zurückzukommen, als sie etwas am Anblick der beiden stocken ließ. Sie wusste, dass sie die Burschen schon einmal gesehen hatte.
Unter Verneigungen traten die Männer vor. Ein junger Shasinn, der lässig an der Wand gelehnt hatte, stellte sich neben die Königin. Beim geringsten Zeichen hätte er die Fremden auf der Stelle getötet. Die betonte Lässigkeit diente dazu, die blitzschnellen und tödlichen Reaktionen der Shasinn zu verbergen.
»Wer seid ihr?« fragte Larissa, und die beiden schoben die Kapuzen zurück. Einer von ihnen hatte kurzes schwarzes Haar und einen Bart, der andere blau gefärbte Haare, die eine Hälfte des ansonsten kahlgeschorenen Schädels bedeckten.
»Ich bin Haffle«, stellte sich der Schwarzbart vor. »Das ist Ingist. Wir sind …«
»Ich weiß, wer ihr seid.« Jetzt erinnerte sie sich. Aufregung ergriff sie. Wenn diese beiden auftauchten, gab es nur einen bestimmten Grund dafür. »Folgt mir und sprecht erst, wenn ich es befehle.«
Wortlos gingen sie hinter ihr her, und der junge Krieger bildete das Schlusslicht des kleinen Zuges. Larissa führte sie in einen hellen Innenhof und ließ die Sklaven Erfrischungen und Speisen bringen. Dann entließ sie die Diener, und der Shasinn lehnte sich knapp außer
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