Brüder Des Zorns
gezogen.«
»Pendu«, sagte sie mit sanfter Stimme, »die Shasinn müssen hier bleiben, damit sich diese Herde menschlichen Viehs anständig benimmt. Wir sind keine Piraten und Räuber mehr, sondern die Herrscher eines riesigen Reiches. Er hat dich und deine Leute ausgewählt, da außer ihm, dir, Luo und Raba keiner der alten Garde mehr übrig ist. Alle anderen sind tot.« Sie erwähnte Hael, den Ausgestoßenen, nicht. »Ihr seid die einzigen, denen er vertraut. Beim nächsten Krieg wirst du an seiner Seite kämpfen, das verspreche ich dir. Jetzt sorge dafür, dass sich meine Leibwachen auf die Cabos schwingen. Cabos zum Wechseln müssen bereitgestellt und Vorräte müssen gepackt werden. Außerdem brauche ich Reittiere für zwei weitere Männer. Ich nehme keine Sklaven mit.«
»Handelt es sich bei den anderen beiden etwa um die Spione, die gestern Nachmittag auftauchten?« Verständnis glomm in seinen Augen auf.
»Mach dir keine Gedanken, Pendu«, schalt Larissa. »Das Denken überlasse meinem Gemahl. Führe meine Befehle aus, und sorge im Land für Ordnung. Außerdem solltest du dich bereithalten, falls dir der König einen Marschbefehl überbringen lässt.«
Vor Freude errötete der narbenübersäte Krieger. »Ja, meine Königin!«
»Jetzt geh!« befahl die Königin. Er drehte sich um und verließ die Gemächer, ohne sich zu verneigen. Die Shasinn hielten nichts vor derartigen Förmlichkeiten. Außerdem kannten sie sich seit ihrer Kindheit, und es wäre beiden seltsam vorgekommen, wenn er ihr mehr als den Respekt entgegengebracht hätte, der einer Häuptlingsfrau gebührte. Nur zu gerne hätte sie ihm von der Stahlmine erzählt, aber er ahnte ihr Geheimnis bereits, und sie hatte beschlossen, es für sich zu behalten. Zwar vertraute sie Gasams Jugendfreunden völlig, aber sie waren bloß Krieger ohne überragende Geistesgaben. Je weniger sie von dieser Sache wussten, umso besser.
Larissa ritt nicht gerne, aber als sie in den Sattel des Cabos stieg, ergriff sie unbändige Freude. Endlich geschah etwas! Sie würde wie der Wind reiten, um sich mitten im Krieg zu ihrem Gemahl durchzuschlagen. Sie hatte vergessen, wie sehr sie solche Unternehmungen liebte.
Fünfzig junge Krieger, die sich nach Abenteuern sehnten, umgaben sie. Die Spione brannten nicht gerade auf diese Unternehmung, taten aber bereitwillig ihre Pflicht. Sie hatte ihnen unvorstellbare Reichtümer versprochen, aber das hing von der Eroberung der Stahlmine ab. Die Landkarte war sehr gut, aber sie brauchte Führer, die dem Heer von Meile zu Meile gute Ratschläge gaben.
Ohne Fanfarenklänge und Zeremonien verließen sie die Stadt. Die Einwohner glaubten, sie unternähme nur einen der häufigen Inspektionsritte.
Obwohl Larissa nur ungern auf einem Cabo saß, ritt sie recht gut. Alle Shasinn konnten gut mit Tieren umgehen, und sie wusste,- wie gut sie aussah, wenn sie mit wehendem Haar dahintrabte. Sie weigerte sich, jene Reithosen zu tragen, die viele Frauen auf dem Festland bevorzugten, und war nur mit einem Lendenschurz, wie ihn die Krieger besaßen, und einem weiten Umhang bekleidet, der sie bis zu den Knöcheln einhüllte. Seit Monaten war sie nicht mehr hart geritten und wusste, welche Schmerzen sie erwarteten. Der Sattel und die Steigbügel waren mit Lammfellen gepolstert, aber das half nur wenig. Aber sie war an Unbequemlichkeiten gewöhnt, und ihr Körper war kräftig genug, sich schnell zu erholen und sich innerhalb weniger Tage darauf einzustellen. Außerdem hielt sie Schmerzen besser aus als die meisten Menschen.
So lebendig hatte sie sich seit Jahren nicht gefühlt. Das größte Geheimnis der Welt hing an ihrem Gürtel. Sie wies den Weg mit dem Speer und ritt lachend, den Wind im Rücken, ihrem Gemahl entgegen.
KAPITEL SECHS
D ie beiden Reiter überquerten die Grenze zum Königreich Gran auf einer morschen Brücke, unter der sich ein träger Fluss wand, an dessen Ufer dichte tropische Pflanzen wuchsen. Wohin sie auch blickten, überall herrschte reges Leben und Treiben. Das Kreischen und Brüllen von Vögeln und Reptilien lag in der Luft, das Surren von Insektenflügeln war zu hören und die leisen Schreie kleiner Tiere, die sich paarten, jagten oder verendeten. Aus der Ferne drang das Gebrüll größerer Kreaturen, und die Reiter waren dankbar, sie nicht in Sichtweite zu haben.
In der Mitte der Brücke zügelte Ansa sein Cabo. Im schlammigen Wasser regte sich etwas. Urplötzlich tauchte eine längliche Gestalt auf. Ein wild um
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