Brüder Des Zorns
einen Stuhl und muss geraume Zeit allein mit dem König verbringen«, erklärte Fyana. »Du musst nicht aus dem Zimmer gehen, aber ich möchte wenigstens auf dem Podest mit ihm allein sein. Ich kann nicht vorhersagen, wie lange ich brauche. Wie ich bereits Lord Klon – besser gesagt, Lord Osha Kl’an – mitteilte, kann es sehr lange dauern, wenn der Kranke bewusstlos ist.«
»Ganz, wie du wünschst. Du hast alle Zeit der Welt. Jeder hier wird deinen Anweisungen gehorchen, als handele es sich um meine eigenen Befehle.« Ein Diener brachte einen Stuhl, und die Königin rückte ihn für Fyana zurecht, die sich darauf niederließ. Sanft berührten die blauen Finger die Schläfe des Kranken.
Eine Hand legte sich auf Ansas Arm. Die Königin bedeutete ihm, ihr zu folgen. Als sie das Zimmer verließen, erblickte er einen Knaben, der auf einem Stuhl neben der Tür saß. Er war nicht älter als zehn Jahre, und seine großen dunklen Augen schauten traurig drein. Als sich ihre Blicke begegneten, rang sich der Junge ein Lächeln ab. Das musste der Sohn des Königs sein, dachte Ansa. Er war sicher, dass ihm sein energisches Auftreten gegenüber dem Priester und dem anmaßenden Arzt das Lächeln eingebracht hatte.
Die Königin führte ihn in ein Nebenzimmer, in dem ein Tisch mit Getränken und Speisen stand. Sie bedeutete ihm zuzugreifen, und Ansa setzte sich und langte nach einem gefüllten Becher.
»Junger Mann, du lässt dich nicht so leicht von hohen Würdenträgern einschüchtern. Ich mag nicht glauben, dass dies aus Unwissenheit geschieht.«
»Priester haben für mich keine Bedeutung«, sagte Ansa. »Bei meinem Volk gibt es sie nicht. Und ein Arzt, der nach zehn Tagen nichts erreicht hat, sollte sich nicht so aufspielen. Keineswegs hat er das Recht, sich der Königin gegenüber unverschämt zu benehmen.«
Sie seufzte, und es klang eher zornig als verzweifelt. »Wären bloß alle meine Untertanen so klug! Nun, keine Bange. Ich sorge dafür, dass dir und Lady Fyana kein Leid zugefügt wird.«
Ansa unterdrückte ein Grinsen. »Verzeihung, Majestät, aber ich denke, dass sich Fyana bedeutend mächtigere Feinde als die beiden Kerle machen wird, wenn sie den König heilt.«
Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Ich merke, dass du dich mit höfischen Intrigen auskennst.«
»Ich bin von Stand«, erklärte Ansa. »Ich habe viel Zeit am Hofe König Haels verbracht und glaube, dass alle Königshöfe gleich sind.«
»Bist du ein Verwandter König Haels?«
»Wir kennen uns«, antwortete er ausweichend.
»Er kam als Fremder in sein heutiges Reich, ein Wanderer von fernen Inseln. Also gehörst du zur Familie Königin Deenas?«
»Ja, wir sind verwandt«, gab er zu.
»Sicher recht eng, nehme ich an. Der Hauptmann der Leibwache teilte mir mit, dass du Waffen aus purem Stahl überreichtest, sogar ein ansehnliches Langschwert.«
»Offenbar benutzt nicht nur die königliche Familie geheime Gänge«, sagte Ansa, der allmählich ärgerlich wurde. »Ist uns jemand vorausgeeilt, um dir Bericht zu erstatten?«
»Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, beruhigte sie ihn. »Wenn du wüsstest, von wie vielen Intriganten ich umgeben bin!«
»Ich glaube, ich begreife allmählich. Übrigens sind Stahlwaffen in unserem Land keine Seltenheit mehr. Jeder Krieger besitzt welche.«
Sie drehte den Becher mit Wein in der Hand hin und her. Ansa fiel auf, dass sie sehr erschöpft aussah, sich aber trotzdem kerzengerade hielt. »König Hael hat zwei Söhne. Einer heißt Kairn, der andere Ansa. Wenn du unerkannt reisen willst, hättest du wenigstens deinen Namen ändern sollen.«
»Ansa ist ein ganz gewöhnlicher Name bei den Steppenbewohnern«, sagte er verlegen.
»Ansa, ich habe deinen Vater getroffen, und die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Es ist deine Sache, warum du deine Herkunft verleugnest, und ich respektiere deinen Wunsch, möchte aber klare Verhältnisse schaffen. Wenn du die Ehre ablehnst, die einem Prinzen gebührt, werde ich sie dir nicht aufdrängen.«
Errötend nahm er einen Schluck Wein. »Majestät …« Sie unterbrach ihn.
»Wenn wir unter uns sind, kannst du mich Masila nennen.«
»Gut, Masila. Ich bin kein Prinz in dem Sinne, wie es hier der Fall ist. Die überragende Bedeutung meines Vaters beruht sowohl auf seinen geistigen wie kriegerischen Talenten. Er wurde von allen Stämmen einstimmig zum König gewählt. Wenn er stirbt, ist es höchst unwahrscheinlich, dass einer seiner Söhne zum Nachfolger ernannt wird. Bei uns gibt
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