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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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gemangelt. Nein …« Er lächelte. »Sie ist ein nettes Mädchen, Anaïs, aber nicht übermäßig intelligent. Letztlich war es ohnehin alles von anderen eingefädelt.«
    »Und warum hast du mitgespielt?«
    »Um des lieben Friedens willen.«
    Camille ging zum Fenster hinüber. Er öffnete es ein Stück weiter und lehnte sich hinaus. »Was wird passieren?«, fragte er. »Ohne Revolution geht es nicht.«
    »Nein. Aber Gott wirkt durch die Menschen.«
    »Und das heißt?«
    »Jemand muss der Versammlung und dem König aus dieser Sackgasse helfen.«
    »Nein, in der realen Welt, meine ich.«
    »Und es wird Mirabeau sein müssen, nehme ich an. Gut, niemand traut ihm, aber wenn er das Signal gäbe …«
    »Sackgasse! Signal!« Camille knallte das Fenster zu. Er stürmte zu Robespierre zurück. Der brachte das Tintenfass vor seinem Zorn in Sicherheit. »Ein Signal gibst du, indem du die Arme schwenkst!« Er ließ sich auf die Knie fallen. Robespierre fasste seine Oberarme und versuchte ihn hochzuziehen. »Ah, welche Labsal!«, rief Camille. »Ich knie auf dem Boden, du versuchst mich auf die Füße zu ziehen! Nicht metaphorisch, sondern wirklich und wahrhaftig! Schau her« – er riss sich von seinem Freund los –, »jetzt falle ich aufs Gesicht. Jetzt liege ich da. Das ist real«, sagte er in den Teppich. »Und, ist das dasselbe, wie wenn jemand sagt ›Das Land liegt am Boden‹?«
    »Natürlich nicht. Steh bitte auf.«
    Camille stand auf und klopfte sich ein bisschen ab.
    »Du machst mir Angst«, sagte Robespierre. Er drehte sich weg und setzte sich wieder an den Tisch, an dem er seinen Brief geschrieben hatte. Er nahm die Brille ab, stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte sich die Fingerspitzen über die geschlossenen Augenlider. »Metaphern sind etwas Gutes«, sagte er. »Ich mag Metaphern. Metaphern bringen keine Menschen um.«
    »Mich schon. Wenn ich noch einmal etwas von einem Würfel höre, der gefallen ist, oder einem Schiff, das sinkt, springe ich aus dem Fenster. Ich ertrage diese Phrasen nicht mehr. Neulich habe ich Laclos getroffen, und hinterher war ich so angeekelt, dass ich dachte, ich muss es im Alleingang machen.«
    Robespierre griff zur Feder und fügte seinem Brief noch einen Satz hinzu. »Ich habe Angst vor einem gesellschaftlichen Chaos.«
    »Angst hast du davor? Ich sehne es herbei. Mirabeau – er verfolgt seine eigenen Ziele – aber wenn wir einen Anführer hätten, dessen Name über jeden Vorwurf erhaben ist …«
    »Ich weiß nicht, ob es in der Versammlung so jemanden gibt.«
    »Dich gäbe es«, meinte Camille.
    »Ach ja?« Er begann den nächsten Satz. »Mirabeau nennen sie ›die Fackel der Provence‹. Und weißt du, wie sie mich nennen? ›Die Kerze von Arras‹.«
    »Aber mit der Zeit, Max –«
    »Mit der Zeit, ja. Sie finden, ich sollte um Vicomtes herumscharwenzeln und mir rhetorische Mätzchen ausdenken. Nein. Mit der Zeit werden sie mich vielleicht sogar respektieren. Solange sie mir nur nicht Beifall spenden, denn das wäre das Ende. Ich will keine Handgelder, keine Versprechungen, keine Cliquen und kein Blut an meinen Händen. Ich bin nicht der Heilsbringer, den sie sich vorstellen.«
    »Aber in deiner eigenen Vorstellung – bist du es da?«
    Robespierre blickte wieder auf seinen Brief. Er erwog ein Postskriptum. Er griff nach seiner Feder. »So wenig wie du.«
    SONNTAG , 12.  JULI , fünf Uhr morgens: »Camille, auf diese Fragen gibt es keine Antwort«, sagte d’Anton.
    »Nein?«
    »Nein. Aber schau, draußen wird es schon hell. Du hast die Nacht überlebt.«
    Camilles Fragen: Angenommen, ich bekomme Lucile, wie überlebe ich dann ohne Annette? Warum habe ich nie irgendetwas erreicht, nicht einmal die läppischste Kleinigkeit? Warum veröffentlicht niemand mein Pamphlet? Warum hasst mich mein Vater?
    »Also gut«, sagte d’Anton, »kurze Antworten sind die besten. Warum sollst du ohne Annette auskommen? Geh mit beiden ins Bett, du bringst das doch fertig – es wäre wohl kaum das erste Mal in der Geschichte.«
    Camille sah ihn staunend an. »Dich schockiert überhaupt nichts mehr, kann das sein?«
    »Darf ich fortfahren? Du hast deshalb nie etwas erreicht, weil du dich verdammt noch mal immer in der Horizontale befindest. Ich meine, du bist irgendwo verabredet, und du kommst nicht, und die Leute sagen, ach Gott, er ist ja so zerstreut – aber du weißt, wie es wirklich ist, du hast den Tag mit den besten Absichten begonnen, du warst vielleicht sogar schon auf dem

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