Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Weg zu deiner Verabredung, und dann triffst du irgendwen, und was passiert? Ihr landet im Bett.«
»Und schon ist der Tag um«, sagte Camille. »Du hast ja recht, du hast ja recht.«
»Und was für eine Grundlage für eine Karriere gleich welcher Art soll das – ach, vergiss es. Wo war ich stehen geblieben? Dein Pamphlet wird erst erscheinen, wenn sich die Lage etwas entspannt hat. Und dein Vater – er hasst dich nicht, wahrscheinlich liegt ihm eher noch zu viel an dir, so wie auch mir und sehr vielen anderen Leuten. Und weißt du, Camille – du raubst mir den letzten Nerv.«
D’Anton hatte den ganzen Freitag bei Gericht verbracht und den Samstag durchgearbeitet. Sein Gesicht war zerknautscht vor Müdigkeit. »Tu mir einen Gefallen.« Er stand auf und ging mit steifen Schritten zum Fenster. »Wenn du glaubst, Selbstmord begehen zu müssen, kannst du damit noch bis Mittwoch warten? Bis dahin müsste mein Reederei-Prozess vorbei sein.«
»Ich bin sowieso auf dem Sprung nach Versailles«, sagte Camille. »Ich muss mit Mirabeau reden.«
»Arme Sau.« D’Anton schlief einen Moment lang im Stehen. »Ich glaub, heute wird’s noch schwüler.« Er stieß den Laden auf. Hitze schwappte ins Zimmer.
Für Camille war die Herausforderung nicht, sich wachzuhalten, sondern an seine Sachen zu gelangen. Er war nun schon eine Weile ohne feste Bleibe. Ob sich d’Anton überhaupt einen Begriff von dieser Problematik machte? Wenn man bei jemandem hereinschneit, bei dem man einmal gewohnt hat, ist es schwer, einfach zu sagen: »Lass deine Finger bei dir, ich brauch nur ein frisches Hemd.« Die Leute glauben einem nicht. Sie halten es für einen Vorwand.
Und wieder ist er unterwegs. Von Paris nach Versailles dauert es auf diese Weise drei Stunden. Trotz aller Hindernisse erreicht er Mirabeaus Haus zu einer Zeit, zu der normale Menschen frühstücken. Er hat sich rasiert, umgekleidet, sein Haar gebürstet; ein bescheidener junger Advokat, der einem großen Mann seine Aufwartung macht.
Teutch verdrehte die Augen und schubste ihn durch die Tür. »Die Regierung ist umgebildet«, sagte er. »Und ER ist nicht mit drin.«
Mirabeau stromerte im Zimmer auf und ab, seine Schläfenadern waren dick geschwollen. Er bremste kurz ab. »Ah, da sind Sie. Kleines Tête-à-Tête mit Ihrem Drecks-Philippe gehabt?«
Der Raum war voller Menschen: wütende Gesichter, sorgenzerfurchte Gesichter. Der Abgeordnete Pétion ließ ihm seine verschwitzte Hand auf die Schulter fallen. »Frisch schauen Sie aus, Camille«, sagte er. » Ich war ja die ganze Nacht auf. Wussten Sie schon, dass Necker abgesetzt ist? Das neue Kabinett tritt heute Morgen zusammen, vorausgesetzt, sie finden einen Finanzminister. Die ersten drei haben schon abgelehnt. Necker ist beliebt – diesmal haben sie sich ihr eigenes Grab geschaufelt.«
»Steckt dahinter Marie Antoinette?«
»Angeblich ja. Es befinden sich Abgeordnete in diesem Raum, die heute Nacht mit der Verhaftung gerechnet haben.«
»Verhaftet werden können Sie immer noch.«
»Ich denke«, sagte Pétion vernünftig, »ein paar von uns sollten nach Paris gehen – finden Sie nicht auch, Mirabeau?«
Mirabeau funkelte ihn an. Er muss eine hohe Meinung von sich haben, dachte er, dass er mich unterbricht. »Niemand hindert Sie daran«, knurrte er. Er tat so, als hätte er Pétions Namen vergessen.
Wenn sie das im Palais Royal hören …, dachte Camille. Er schlängelte sich zum Comte durch. »Gabriel, ich muss gehen.«
Der Comte zog ihn neben sich, auf den Lippen ein Hohnlächeln unklarer Provenienz. Er hielt Camille fest, strich ihm mit seiner großen Hand das Haar aus dem Gesicht. Einer von seinen Ringen rupfte an Camilles Mundwinkel. »Maître Desmoulins hat Appetit auf einen kleinen Volksaufstand. Es ist Sonntagmorgen, Camille – warum sind Sie nicht in der Kirche?«
Er machte sich los. Er lief durch das Zimmer. Er rannte die Treppe hinunter. Er war schon auf der Straße, als Teutch ihm nachgerannt kam. Er blieb stehen. Teutch starrte ihn an, stumm.
»Hat der Comte noch einen Ratschlag für mich?«
»Ja, aber mir fällt nicht mehr ein, was es war.« Denkpause. »Ah ja.« Seine Miene hellte sich auf. »Sie sollen sich nicht totschießen lassen.«
Es ist Nachmittag, kurz vor drei, als die Nachricht von Neckers Entlassung das Palais Royal erreicht. Am Heiligenschein des sanften Schweizer Finanziers ist fleißig gearbeitet worden – und nie fleißiger als in dieser letzten Woche, während sein Sturz
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