Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Regime zurück, und zwar ohne jedwede Abstriche; für Lafayette haben sie ein Exekutionskommando vorgesehen. Nach alter Gewohnheit rufen sie die Herrscherhäuser Europas um Unterstützung an.
Die Herrscherhäuser jedoch haben ihre eigenen Vorstellungen. Diese Revolutionäre stellen eine Gefahr dar, keine Frage; sie sind eine Bedrohung für uns alle. Aber Louis ist weder tot noch gestürzt, und mögen auch die Tuilerien an Einrichtung und Ausstattung nicht ganz an Versailles heranreichen, kann man ihn doch nicht einmal ernsthaft inkommodiert nennen. Später einmal, wenn die Revolution vorbei ist, wird er vielleicht sogar zugeben, dass die strenge Lektion ihm gut getan hat. Einstweilen ist es eine klammheimliche Freude zuzusehen, wie bei dem reichen Nachbarn die Steuern uneingetrieben bleiben, wie eine prächtige Armee durch Meuterei gespalten wird und Messieurs les Democrats sich nach Strich und Faden blamieren. Die gottgewollte Ordnung Europas muss erhalten werden – aber deshalb besteht keine akute Veranlassung, der bourbonischen Lilie zu neuer Blüte zu verhelfen.
Dem König selbst wird von den Emigrés zu einem Kurs des passiven Widerstands geraten. Im Lauf der Monate verzweifeln sie zusehends an ihm. Sie erinnern einander an den Ausspruch des Comte de Provence: »Wer es schafft, eine Handvoll geölter Elfenbeinkugeln zusammenzuhalten, der bekommt vielleicht auch Louis zu fassen.« Erbittert beobachten sie, wie er mit jeder seiner Erklärungen vor dem neuen Regime zu Kreuze kriecht – bis er ihnen unter der Hand versichert, dass alles, was er sagt, das glatte Gegenteil bedeutet. Sie wollen nicht begreifen, dass so einigen dieser Ungeheuer, dieser Lumpen, dieser Barbaren von der Nationalversammlung die Interessen des Königs am Herzen liegen. Diese Begriffsstutzigkeit verbindet sie mit der Königin:
»Wenn ich sie empfange oder Verbindung zu ihnen aufnehme, dann nur, um sie zu benutzen; sie flößen mir einen zu tiefen Abscheu ein, als dass ich mich je mit ihnen abgeben könnte.« So viel zu dir, Mirabeau. Möglicherweise sieht Lafayette klarer, was die Dame angeht; er soll ihr ins Gesicht gesagt haben, dass er vorhat, sie des Ehebruchs zu überführen und heim nach Österreich zu schicken. Zu diesem Zweck lässt er allnächtlich eine kleine Pforte unbewacht, um ihren mutmaßlichen Liebhaber einzulassen, Axel von Fersen. »An eine Aussöhnung ist nicht mehr zu denken«, schreibt sie. »Nur Waffengewalt kann den Schaden wiedergutmachen.«
Katharina die Große: »Ich treibe Wien und Berlin nach Kräften dazu, sich in die französischen Angelegenheiten zu involvieren, um selbst die Hände frei zu haben.« Die Zarin braucht ihre Hände wie immer dazu, Polen im Würgegriff zu halten. Sie wird ihre Gegenrevolution in Warschau anzetteln – um die in Paris sollen sich die Deutschen kümmern. Leopold von Österreich hat vollauf mit Polen, Belgien und der Türkei zu tun, William Pitts Sinn ist auf Indien und die Finanzreformen gerichtet. Sie warten und schauen zu, wie Frankreich sich so lange durch Spaltung und Zwist aufreibt, bis es (so rechnen sie sich aus) ihre Pläne nicht mehr durchkreuzen kann.
Bei Friedrich Wilhelm von Preußen sind die Prioritäten etwas anders gelagert: Wenn es zum Krieg mit Frankreich kommt, was er als unausweichlich ansieht, dann will er davon profitieren. Er hat Agenten in Paris sitzen, die angewiesen sind, Hass gegen Marie Antoinette und die Österreicher zu schüren – den Einsatz von Gewalt zu forcieren, das Kräftegleichgewicht auszuhebeln und die Lage zu eskalieren. Der wahre Verfechter der Gegenrevolution ist Gustav von Schweden: Gustav, der Paris vom Angesicht der Erde hinwegfegen will, Gustav, der unter dem alten Regime jährlich anderthalb Millionen Livres bezog, Gustav und seine imaginäre Armee. Und aus Madrid die fieberhaft reaktionären Regungen eines umnachteten Königs.
Diese Revolutionäre, sagt jeder von ihnen, sind die Geißel der Menschheit. Ich werde gegen sie zu Felde ziehen – nach euch.
Aus Pariser Sicht sieht die Zukunft düster aus. Marat wittert allenthalben Verschwörer, riecht Verrat in dem Luftzug, der die neue Trikolore vor den Fenstern des Königs flattern lässt. Hinter dieser Fassade, vor der die Nationalgardisten patrouillieren, isst und trinkt der König, nimmt zu, gerät selten außer Fassung. »Mein größter Fehler«, hat er einmal geschrieben, »ist eine innerliche Trägheit, die jede geistige Anstrengung für mich zur Strafe macht.«
In der
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