Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Ich musste einiges dafür tun.«
»Und hast du vor, ihr treu zu sein?«
»Selbstverständlich.« Er machte ein entsetztes Gesicht. »Was für eine Frage! Ich liebe sie.«
»Ich dachte nur. Ich meine, so eine Absichtserklärung ist doch auf jeden Fall etwas wert.«
Sie nahmen eine Erdgeschosswohnung in der Rue des Cordeliers, gleich ums Eck von den Dantons, und am 30. Dezember – einem düsteren, eisigen Tag, der in feindseliger Neugier vor den erleuchteten Fenstern lauerte – gaben sie ein Hochzeitsfrühstück für hundert Gäste. Um ein Uhr nachts waren sie schließlich allein miteinander. Lucile trug noch ihr rosafarbenes Brautkleid, ganz verdrückt jetzt und an einer Stelle klebrig-feucht von dem Champagner, den sie vor ein paar Stunden verschüttet hatte. Sie ließ sich auf die blaue Chaiselongue sinken und trat sich die Schuhe von den Füßen. »Was für ein Tag! Haben die Annalen des Heiligen Ehestandes jemals seinesgleichen verzeichnet? Mein Gott, ganze Kirchenbänke voll seufzender, schnüffelnder Leute, und meine Mutter in Tränen und mein Vater auch, und dann der alte Bérardier, der dir eine öffentliche Standpauke hält, sodass auch dir noch die Augen feucht werden – während sich die Hälfte der Pariser Einwohnerschaft, die nicht heulend in den Bänken sitzt, draußen vor der Kirche drängt und Parolen schreit und anzügliche Bemerkungen macht. Und –« Sie verstummte. Die fiebrige Erregung des Tages spülte über sie hinweg, Welle um Welle davon. So muss es sein, dachte sie, wenn man auf See ist. Von weither drang Camilles Stimme zu ihr:
»… weil ich nie dachte, dass ein solches Glück auch mir zustoßen könnte, denn vor zwei Jahren hatte ich nichts, und nun habe ich dich, und ich habe genug Geld, um gut leben zu können, und ich bin berühmt …«
»Ich habe einen Schwips«, sagte Lucile.
Wenn sie an die Trauung zurückdachte, schien alles in eine Art Nebel gehüllt, sodass ihr der Verdacht kam, sie könnte auch da schon beschwipst gewesen sein, und sich in jäher Panik fragte: Sind wir überhaupt ordnungsgemäß verheiratet? Ist Trunkenheit ein Hinderungsgrund? Letzte Woche, als wir die Wohnung besichtigt haben – war ich da völlig nüchtern? Wo ist die Wohnung?
»Ich dachte schon, sie würden nie gehen«, sagte Camille.
Sie sah zu ihm auf. All die Dinge, die sie ihm hatte sagen wollen, all die Male, die sie diesen Moment geprobt hatte, vier Jahre des Probens, und nun, da es so weit war, brachte sie nur ein blümerantes Lächeln zuwege. Sie schlug mühsam die Augen auf, damit sich nicht alles so drehte, dann schloss sie sie wieder: Sollte es sich doch drehen! Sie legte sich mit dem Gesicht nach unten auf die Chaiselongue, zog behaglich die Knie an und schnaubte einmal zufrieden wie das Hündchen in Saint-Sulpice. Sie schlief. Irgendeine gütige Seele schob ihr die Hand unter die Wange und ersetzte die Hand dann durch ein Kissen.
»Hören Sie nur, was ich alles sein werde«, sagte der König, »wenn ich den armen Bischöfen nicht den Eid auf die Verfassung abverlange.« Er rückte seine Brille zurecht und las vor:
»… Feind der öffentlichen Freiheit, heimtückischer Verschwörer, feigster aller Eidbrüchigen, Fürst ohne Ehre, ohne Scham, niedrigstes Gewürm …« Er brach ab, legte die Zeitung weg und schneuzte sich kräftig in ein mit dem königlichen Wappen besticktes Taschentuch – sein letztes nach alter Machart. »Auch Ihnen ein frohes neues Jahr, Dr. Marat«, sagte er.
3. Sic transit …
(1791)
1791: »Lafayette«, deutet Mirabeau der Königin an, »eifert Cromwell stärker nach, als sich das mit seiner natürlichen Bescheidenheit verträgt.«
Es ist aus, sagt Marat, wir sind erledigt: Marie Antoinettes Klüngel ist mit Österreich im Bunde, die Monarchen verraten die Nation. Zwanzigtausend Köpfe müssen rollen.
Frankreich soll vom Rhein her angegriffen werden. Bis zum Juni soll der Bruder des Königs, Artois, mit seinen Truppen bei Koblenz stehen. Maître Desmoulins’ alter Mandant, der Prinz von Condé, wird eine Armee in Worms kommandieren. Eine dritte Armee in Colmar soll von Mirabeaus jüngerem Bruder befehligt werden, dem seine Figur und sein ausschweifender Lebenswandel den Spitznamen Mirabeau-Tonneau eingetragen haben: das Fass.
Das Fass hat seine letzten Monate in Frankreich damit verbracht, den Laternenanwalt durch die Gerichtssäle zu jagen. Jetzt hofft er ihn mit bewaffneten Truppen durch die Straßen zu jagen. Die Emigrés wollen das alte
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