Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Besuch von Wildfremden zu allen Tages- und Nachtzeiten, das Esszimmer dauerbesetzt von fieberhaft kritzelnden Männern, ihr Schlafzimmer Ausweichsalon und allgemeines Durchgangszimmer.
»Wir müssen mehr Bücherregale bauen lassen«, sagte sie. »Du kannst nicht alles in kleinen Häufchen auf dem Fußboden aufbewahren, ich falle darüber, wenn ich morgens aus dem Bett steige. Brauchst du diese ganzen alten Zeitungen, Camille?«
»Aber ja. Aus denen suche ich die Widersprüche heraus, in die meine Gegner sich verstricken. Dann kann ich sie attackieren, wenn sie ihre Meinung ändern.«
Er hob eine Zeitung von einem der Stapel. »Hébert«, sagte sie. »So ein grauenhafter Schund.«
René Hébert hatte sich ein Sprachrohr geschaffen, einen raubeinigen, pfeiferauchenden Mann aus dem Volk, den Ofensetzer Père Duchesne. Die Zeitung war vulgär in jedem Sinne – einfältig im Stil und mit Obszönitäten gespickt. »Père Duchesne ist doch sehr königstreu, sehe ich.« Geschwind strich Camille eine Passage an. »Könnte sein, dass ich das eines Tages gegen dich verwenden muss, Hébert.«
»Ist Hébert wirklich wie Père Duchesne? Raucht er Pfeife und flucht ständig?«
»Überhaupt nicht. Er ist ein weichliches kleines Männchen. Er hat komische Hände, die immer herumflattern. Sie sehen aus wie irgendwelches Getier, das unter Steinen lebt. Hör zu, Lolotte – bist du glücklich?«
»Vollkommen.«
»Ganz sicher? Gefällt dir die Wohnung? Möchtest du lieber umziehen?«
»Nein, ich will nicht umziehen. Die Wohnung gefällt mir. Alles gefällt mir. Ich bin völlig glücklich.« Ihre Gefühle schienen neuerdings direkt unter der Oberfläche zu liegen, sie pickten innen an ihrer Haut wie Küken, die schlüpfen wollen. »Ich habe nur Angst, dass etwas passieren könnte.«
»Was soll passieren?« (Er wusste genau, was passieren konnte.)
»Die Österreicher könnten einmarschieren, und du wirst erschossen. Der Hof könnte dich umbringen lassen. Du könntest entführt und in irgendeinen Kerker gesperrt werden, und ich würde nie erfahren, wo du bist.«
Sie hielt sich die Hand vor den Mund, wie um die Ängste am Hervorsprudeln zu hindern.
»So wichtig bin ich auch wieder nicht«, sagte er. »Sie haben Dringlicheres zu tun, als Meuchelmörder auf mich anzusetzen.«
»Ich habe einen von diesen Briefen gesehen, in denen dir mit dem Tod gedroht wird.«
»Das kommt davon, wenn man fremde Post liest. Da erfährt man Dinge, die man lieber nicht wissen möchte.«
»Wer zwingt uns, so zu leben?« Sie murmelte es erstickt in seine Schulter hinein. »Bald werden wir in Kellerlöchern hausen müssen wie Marat.«
»Trockne deine Tränen. Wir haben Besuch.«
Robespierre stand mit verlegenem Gesicht in der Tür. »Eure Haushälterin meinte, ich solle einfach hineingehen.«
»Völlig richtig.« Lucile zeigte im Zimmer herum. »Kein klassisches Liebesnest, wie Sie sehen. Setzen Sie sich aufs Bett. Setzen Sie sich ins Bett, denken Sie sich nichts. Heute Morgen war schon halb Paris hier, während ich mich anzukleiden versucht habe.«
»Ich finde überhaupt nichts mehr seit dem Umzug«, klagte Camille. »Und du machst dir keinen Begriff davon, wie zeitraubend das Verheiratetsein ist. Man muss Entscheidungen über die irrwitzigsten Dinge treffen – ob die Decken gestrichen werden sollen, zum Beispiel. Ich dachte immer, die Farbe würde von selbst daran wachsen, du nicht?«
Robespierre wollte nicht Platz nehmen. »Ich muss gleich weiter – ich wollte nur fragen, ob du diesen Artikel geschrieben hast, den du mir versprochen hattest, über mein Pamphlet wegen der Nationalgarde. Ich hatte eigentlich schon in der letzten Ausgabe damit gerechnet.«
»Ach du Schreck«, sagte Camille. »Es könnte überall sein. Dein Pamphlet, meine ich. Hast du noch eine Kopie bei dir? Hör zu, warum schreibst du das Ding nicht selbst? Das ginge viel schneller.«
»Aber, Camille, natürlich kann ich deinen Lesern einen Abriss meiner Ideen liefern, aber ich hatte mir etwas mehr erwartet – du könntest sagen, ob dich meine Argumentation überzeugt, ob du sie schlüssig findest, ob sie gut formuliert ist. Ich kann mich schließlich nicht selbst loben, oder?«
»Ich wüsste nicht, warum nicht.«
»Lass die dummen Bemerkungen. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.«
»Entschuldige.« Camille warf das Haar nach hinten und lächelte. »Aber du bist unser editorisches Leitbild, weißt du das nicht? Du bist unser Held.« Er ging zu Robespierre und
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