Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Mund aufgemacht.«
»Kein Wunder, wenn du in so einer Stimmung warst«, sagte Lucile. (Sie amüsierte sich allerdings königlich.)
»Dann ist da die Jüngste, Elisabeth – sie nennen sie Babette –, die ganz passabel ist, wenn man Gänselieseln mag. Und die älteste … mir fehlen die Worte.«
Was sie natürlich keineswegs taten. Eléonore, so scheint es, ist ein armes Ding, reizlos, fade und manieriert; sie nimmt Zeichenunterricht bei David und zieht ihrem eigenen, völlig brauchbaren Namen das klassische »Cornélia« vor. Dieses Detail fand ich zugegebenermaßen etwas lachhaft.
Um mit jedweden noch verbleibenden Illusionen aufzuräumen, äußerte er außerdem die Vermutung, dass die Bettvorhänge in Robespierres Zimmer aus einem von Madames alten Unterkleidern gefertigt sein müssen, denn sie seien just aus so grausigem Stoff, wie die gute Frau ihn im Zweifel am Leib trägt. In diesem Stil kann Camille tagelang fortfahren, es ist unmöglich, ihm ein vernünftiges Wort zu entlocken.
Es sind rechtschaffene Leute, nehme ich an; sie haben hart gearbeitet, um es zu ihrem bescheidenen Wohlstand zu bringen. Duplay ist ein aufrechter Patriot, der bei den Jakobinern klare Worte fordert, ohne deshalb freilich aufzutrumpfen. Maximilien scheint sich bei ihnen zu Hause zu fühlen. Und wenn ich darüber nachdenke, hilft es ihm wohl auch finanziell, bei ihnen zu wohnen. Er hat sein Amt als Öffentlicher Ankläger aufgegeben, sobald der Anstand es zuließ; es behindere ihn bei seinen »größeren Aufgaben«, sagte er. Das heißt, er hat nun keinen Posten, kein Gehalt, und muss von seinem Ersparten leben. Man sagt, dass reiche, aber selbstlose Patrioten ihm Wechsel für ihre Banken schicken. Und was macht er? Richtig, er schickt sie mit ein paar höflichen Sätzen zurück.
Die Töchter – die schüchterne ist nichts Ärgeres als eben das, und Babette hat einen gewissen Schulzimmer-Charme. Eléonore, muss ich zugeben …
Sie bemühen sich redlich, es ihm behaglich zu machen. Es wird weiß Gott Zeit, dass jemand das tut. Es ist eine recht spartanische Behaglichkeit, gemessen an unserem neuen Luxus; ich fürchte, es bringt unsere schlechtesten Seiten zum Vorschein, dieses Lästern über die Familie Duplay mit ihrer, wie Camille sagt, »guten, biederen Kost und ihren guten biederen Töchtern«.
Trotzdem, die Atmosphäre bei ihnen hat etwas Seltsames. Nicht wenige von uns fanden es merkwürdig, als die Familie anfing, Porträts ihres neuen Sohnes zu sammeln und sie bei sich an die Wände zu hängen, und Fréron fragte mich, ob es mir nicht unglaublich eitel von Robespierre vorkam, das zu erlauben. Gut, wir alle haben uns malen lassen, selbst ich, bei dessen Anblick es so manchen Maler schaudern muss. Aber das hier ist anders: Man sitzt mit Robespierre in dem kleinen Wohnzimmer, in dem er manchmal Besucher empfängt, und begegnet seinem Blick nicht nur in natura, sondern auch in Öl, Kohle und dreidimensional in Terracotta. Sooft ich hinkomme – was zugegebenermaßen nicht allzu häufig ist –, gibt es eine Neuerrungenschaft zu bewundern. Es macht einen unruhig, nicht nur die Porträts und Büsten, sondern die Art, wie die ganze Familie zu ihm aufschaut. Sie sind dankbar, dass es ihn überhaupt zu ihnen verschlagen hat, aber das allein reicht ihnen nicht mehr. Sie verschlingen ihn mit ihren Blicken, Vater, Mutter, der kleine Maurice und Simon, Victoire, Eléonore, Babette. Ich an seiner Stelle würde mich fragen: Was wollen diese Menschen wirklich? Was büße ich ein, wenn ich es ihnen gebe?
Viel von der Düsterkeit, die sich im Lauf des Jahres unter uns breitmachte, wurde zerstreut durch die fortlaufende Komödie von Camilles Rückkehr in den Gerichtssaal.
Sie leben doch auf recht großem Fuß, er und Lucile – auch wenn sie wie die meisten Patrioten der öffentlichen Kritik aus dem Weg gehen, indem sie nur wenige Diener haben und auf einen eigenen Wagen verzichten. (Ich halte einen Wagen, muss ich gestehen, ich stelle meine Bequemlichkeit über den Applaus der Massen.) Aber wie das so ist mit dem Geld: Sie führen ein offenes Haus, und Camille spielt, und Lolotte kauft all die Dinge, die Frauen eben kaufen. Trotzdem war Camilles Vorstoß weniger der Geldnot geschuldet als dem Bedürfnis, seinem Selbstdarstellungsdrang eine neue Bühne zu verschaffen.
Früher behauptete er immer, mit seinem Stottern habe er beim Plädieren schlicht keine Chance. Und für den, der ihn nicht kennt, kann es in der Tat irritierend oder
Weitere Kostenlose Bücher