Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Schließlich kennt er die beiden nun auch schon ein Weilchen.
Und ich? Fast jeder mag meine Frau, die Sympathien liegen sicher auf ihrer Seite. Dabei sind unsere kleinen Schauspielerinnen – Rémy und ihre Freundinnen – so entgegenkommend, so freundlich und für meine Gabrielle so leicht zu ignorieren. Sie übertreten nie die Schwelle dieses Hauses; was wüsste Gabrielle auch mit ihnen zu reden? Sie sind keine Nutten, diese Mädchen, ganz und gar nicht, sie wären entsetzt, wenn man ihnen Geld anböte. Sie wollen Ausflüge machen, sie wollen freigehalten werden und Geschenke bekommen und sich am Arm der Männer zeigen, deren Namen in den Zeitungen stehen. Wie meine Schwester Anne Madeleine sagt, Leute wie wir bleiben nicht an der Spitze, und wenn unsere Zeit um ist und wir vergessen sind, dann zeigen sich diese Mädchen am Arm unserer Nachfolger. Ich mag sie, diese Mädchen. Weil ich Leute mag, die frei von Illusionen sind.
Zu meiner Verteidigung sollte ich sagen, dass ich Gabrielle lange treu war, aber derzeit steht Treue nicht hoch im Kurs. Ich denke an all das, was uns verbindet, an die starke und ehrliche Zuneigung, die ich empfunden habe und noch empfinde; ich denke daran, wie freundlich ihre Eltern zu mir waren, und an das Kindchen, das wir begraben mussten. Aber ich denke auch an Gabrielles kalten, missbilligenden Ton, an ihr abweisendes Schweigen. Ein Mann hat seinen Platz in der Welt und muss handeln, wie er es für richtig hält, und wie die Schauspielerinnen muss er sich den Zeiten anpassen, in denen er lebt; das will Gabrielle nicht wahrhaben. Was mich am meisten ärgert, ist dieses Gequälte, das sie ausstrahlt. Von mir wird sie weiß Gott nicht gequält.
Und so treffe ich … oh, dieses Mädchen und jenes … und von Zeit zu Zeit die Damen des Herzogs. Also wirklich, mag mancher jetzt denken, der Kerl gibt schon wieder an. Nun, meine Beziehung zu Mrs. Elliot würde ich als reine Geschäftsbeziehung bezeichnen. Wir reden über Politik, englische Politik und ihre Auswirkungen auf französische Angelegenheiten. Aber dieser Tage hat die gute Grace eine solche Wärme in Blick und Ton. Sie ist eine Erzheuchlerin; ich könnte schwören, dass sie mich verabscheut.
Ganz anders Agnès. Agnès besuche ich nur in der Abwesenheit des Herzogs. Aber wenn der Herzog annimmt, dass ich Agnès besuchen möchte, richtet er für gewöhnlich seine Abwesenheit ein. Es funktioniert so reibungslos, dass ich fast Laclos dahinter vermuten würde, wenn dieser Unglückliche nicht die Schande des Scheiterns über sich gebracht hätte und nun in provinzieller Vergessenheit schmachten würde. Aber warum sollte sich die Mätresse eines Prinzen von Geblüt (das klingt fast nach einer Romanfigur, nicht wahr?) dazu herablassen, einen Anwalt mit zweifelhafter Reputation zu erobern, der übergewichtig und so hässlich wie die Nacht ist?
Weil der Herzog eine Zukunft vorhersieht, in der er einen Freund brauchen wird; und der Freund, den er dann braucht, bin ich.
Aber es fällt mir schwer, das muss ich sagen, nicht immerzu an Lucile zu denken. So viel Leidenschaft, so viel Stil und Esprit. Sie handelt sich natürlich einen Ruf ein. Schon jetzt halten viele sie für meine Geliebte, und bald wird sie das ja auch sein; anders als ihre übrigen Bewerber bin ich kein Mann, mit dem man spielt.
In einigen Wochen wird Gabrielle mir einen weiteren Sohn schenken. Das werden wir feiern und uns wieder versöhnen – sprich, sie wird sich mit der Situation abfinden. Wenn dann auch Lucile ihr Kind geboren hat – das im Übrigen von ihrem Mann ist –, werden Camille und ich zu einer Einigung gelangen, was uns gar nicht so schwerfallen dürfte. Wer weiß, vielleicht wird 1792 mein großes Jahr.
Im Januar trat ich mein Amt als Stellvertretender Öffentlicher Ankläger an.
Ich melde mich demnächst wieder, denke ich doch.
3. Drei Fallbeile, zwei in Reserve
(1791–1792)
Louis XVI an Friedrich Wilhelm von Preußen:
Monsieur mein Bruder … Ich habe soeben an den Kaiser, die russische Zarin und die Könige von Spanien und Schweden geschrieben und ihnen ein bewaffnetes Zusammengehen der europäischen Großmächte vorgeschlagen, was sich als das wohl probateste Mittel erweisen dürfte, um die hiesigen Faktionen unter Kontrolle zu bringen, unserem Land eine wünschenswertere Ordnung zurückzugeben und zu verhindern, dass das Übel, welches uns plagt, auch auf andere Staaten Europas übergreift … Ich hoffe, Eure Majestät … werden diesen
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