Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
rechnete.
Der erste Affe, der vortrat, war mindestens achtzig – ein zittriger Pappmaché-Affe mit glitzernden Ritterorden an der Brust, die Pétion allesamt nichts sagten. Er machte eine artige kleine Verbeugung. »M. Bürgermeister, in und um die königlichen Gemächer sitzt man nicht. Es sei denn auf ausdrücklichen Befehl. Wussten Sie das nicht?«
Er warf seinen Kollegen einen todunglücklichen Blick zu. An seinem welken Schenkel hing ein kleines Zeremonienschwert. Sie trugen sie alle, all die dressierten Affen. Pétion schnaubte und marschierte weiter.
Der König blickte trüb vor sich hin; er war langen Schlaf gewohnt, geregelte Zeiten. Marie Antoinette saß kerzengerade, ihr Habsburgerkinn vorgeschoben; sie sah akkurat so aus, wie Pétion es erwartet hatte. Hinter ihrem Stuhl stand Pierre-Louis Roederer, ein hoher Beamter des Seine-Départements. Er hielt drei dicke Bände in der Hand und sprach mit dem Marquis de Mandat, dem Befehlshaber der Nationalgarde.
Pétion verneigte sich, aber nicht sonderlich tief, nicht unterwürfig.
PÉTION : Was haben Sie da, Roederer? Gesetzbücher werden Sie heute nicht brauchen.
ROEDERER : Ich hatte mich nur gefragt, ob das Département das Recht hat, das Kriegsrecht zu verhängen, sollte sich das als nötig herausstellen.
MME ELISABETH : Und hat es das Recht?
ROEDERER : Ich fürchte, nein, Madame.
PÉTION : Ich habe dieses Recht.
ROEDERER : Ich weiß, aber ich dachte, ich schlage rasch nach, falls Sie – auf irgendeine Weise verhindert wären.
DER KÖNIG [vielsagend] : Wie am 20. Juni.
PÉTION : Vergessen Sie Ihre Gesetzbücher. Werfen Sie sie weg. Verbrennen Sie sie. Essen Sie sie auf. Oder behalten Sie sie, um sie irgendwem über den Schädel zu schlagen. Besser als diese Zahnstocher, die alle hier umgeschnallt haben.
MANDAT : Pétion, sind Sie sich der Tatsache bewusst, dass das Gesetz Sie zur Verteidigung des Palastes verpflichtet?
PÉTION : Verteidigung wogegen?
DIE KÖNIGIN : Der Aufstand wird direkt vor Ihren Augen geplant.
MANDAT : Wir haben keine Munition.
PÉTION : Wie – gar keine?
MANDAT : Nicht annähernd genug.
PÉTION : Wie leichtsinnig.
Gabrielles Röcke raschelten, als sie sich setzte. Lucile schreckte aus ihrem Schlaf. »Ich bin’s nur«, sagte Gabrielle. »Sie sind aufgebrochen.«
Louise Robert kauerte sich vor ihr auf den Boden, fasste ihre beiden Hände und drückte sie. »Werden sie die Sturmglocke läuten?«, fragte Lucile.
»Ja. Sehr bald.«
Ihre Nackenmuskeln verkrampften sich. Sie hob die Hand vors Gesicht, Tränen liefen ihr zwischen den Fingern hindurch.
Um Mitternacht kam Danton zurück. Gabrielle sprang erschreckt auf, als sie seine Schritte hörten, und die anderen drängten hinter ihr her ins Wohnzimmer.
»Warum bist du schon wieder da?«
»Ich habe doch gesagt, dass ich zurückkomme. Wenn alles glatt geht, habe ich gesagt, bin ich um Mitternacht wieder da. Warum glaubst du mir nie etwas?«
»Dann geht also alles glatt?«, wollte Louise wissen. Er sah sie an, ungehalten. Das war sein Problem, nicht ihres.
»Natürlich. Sonst wäre ich nicht hier.«
»Wo ist François? Wo haben Sie ihn hingeschickt?«
»Woher zum Teufel soll ich wissen, wo er ist? Wenn er noch da ist, wo ich ihn zuletzt gesehen habe, dann ist er im Rathaus. Wo es nicht brennt und wo niemand schießt.«
»Aber was ist passiert ?«
Er fügte sich in sein Schicksal. »Im Rathaus ist eine große Gruppe von Patrioten versammelt. Sie werden in Kürze die bestehende Kommune ablösen und sich die aufständische Kommune nennen. Damit übernehmen die Patrioten de facto die Macht in Paris.«
»Was heißt de facto ?«, wollte Gabrielle wissen.
»Das bedeutet, sie tun es gleich und legalisieren es später«, sagte Lucile.
Danton lachte. »Ich muss doch sehr bitten, Madame! Da sieht man, wie die Ehe euch Frauen zu Kopf steigt.«
Louise Robert sagte: »Behandeln Sie uns nicht so von oben herab, Danton. Wir haben verstanden, was der Plan ist, wir wollen lediglich wissen, ob er funktioniert oder nicht.«
»Ich leg mich kurz hin«, sagte Danton. Er ging in das Schlafzimmer, aus dem die Frauen gerade herausgekommen waren, und warf die Tür hinter sich zu. Dann lag er da, voll bekleidet, und starrte an die Decke, wartete auf die Glocke, auf das Sturmläuten, das die Leute auf die Straßen hinaustreiben würde. Die Uhr schlug: Es war der 10. August.
Etwa zwei Stunden später hörten sie es klopfen, und Lucile folgte Gabrielle zur Tür.
Eine Handvoll
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