Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Koalitionstruppen waren auf französischem Boden. »Paris ist so sicher«, verkündete Danton der Versammlung, »dass ich meine kleinen Söhne und meine alte Mutter zu mir nach Paris geholt habe, in mein Heim an der Place des Piques.«
Im Tuileriengarten traf er Bürger Roland; sie flanierten unter den Bäumen. Grüne Lichtsprenkel tupften das Gesicht seines Amtskollegen. Bürger Rolands Stimme bebte. »Vielleicht wird es langsam an der Zeit, hier die Zelte abzubrechen. Die Regierung muss unter allen Umständen bestehen bleiben. Wenn wir jenseits der Loire Quartier bezögen, dann könnte nach dem Fall von Paris –«
Danton stemmte die Hände in die Hüften. »Passen Sie auf, wenn Sie von Weglaufen reden, Roland – jemand könnte Sie hören. Gut, gehen Sie, Mann, laufen Sie davon. Wenn Sie kein Kämpferblut haben, nehmen Sie die Beine in die Hand. Aber ich gehe nirgendwo hin, Roland, ich bleibe hier und regiere. Der Fall von Paris? Den wird es nicht geben. Eher brennen wir es nieder.«
Wie verbreitet sich Furcht? Danton hat den Eindruck, dass es dafür einen Mechanismus im Gehirn oder in der Seele gibt, ähnlich einem chemischen Prozess. Er hofft, dass sich mittels des gleichen Prozesses, über die gleichen Bahnen, auch Zuversicht ausbreiten kann; er wird in der Mitte stehen, und die Zuversicht wird von ihm ausströmen.
Mme Recordain saß auf einem hochlehnigen Stuhl und ließ die Blicke über die Pracht des Justizministeriums schweifen. Sie schniefte abfällig.
Um die Stadtmauern wurden Gräben ausgehoben.
Während der ersten Regierungswochen kam häufig Dr. Marat. Er lehnte es ab, für diesen Anlass zu baden, und erschien grundsätzlich unangemeldet; mit seinem schiefen Hoppelgang eilte er durch die Galerien, stieß in angewidertem Ton »Zum Minister, zum Staatssekretär« hervor und ging tätlich auf alle los, die ihn am Weitergehen zu hindern versuchten.
An diesem Morgen berieten sich zwei Ministerialbeamte vor der Tür von Staatssekretär Desmoulins. Ihre Gesichter waren umwölkt, ihr Ton indigniert. Sie machten keinen Versuch, Marat aufzuhalten. Er hat dich verdient, besagten ihre Mienen.
Der Raum war groß und opulent eingerichtet, Camille war das Unauffälligste darin. An den Wänden hing Porträt neben Porträt, die Farben rußig nachgedunkelt vor Alter; die strengen Ministergesichter unter ihren gepuderten Perücken glichen sich wie ein Ei dem anderen. Ausdruckslos blickten sie auf den Mann an dem Schreibtisch herab, hinter dem sie vielleicht selbst einmal gesessen hatten: Uns ist es einerlei, wir sind tot. Camille zu übersehen schien ein Leichtes für sie.
»Longwy ist gefallen«, verkündete Marat.
»Ja, das hat man mir gesagt. Da drüben ist eine Landkarte, sie haben sie für mich geholt, weil ich nie weiß, wo was liegt.«
»Als Nächstes kommt Verdun an die Reihe«, sagte Marat. »Es dauert keine Woche mehr.« Er nahm gegenüber von Camille Platz. »Sie haben Ihre Beamten nicht im Griff. Die stehen draußen und murren.«
»Ich kriege Beklemmungen hier drin. Ich wünschte, ich würde wieder eine Zeitung herausbringen.«
Marat veröffentlichte seine Zeitung derzeit nicht auf die übliche Art; stattdessen tat er seine Ansichten auf Plakaten kund, die er in der ganzen Stadt aufhängte. Es war kein Stil, der zu Ausgewogenheit und Differenzierung einlud; wer so schreibt, sagte er, geizt mit seinen Sympathien. Er sah Camille scharf an. »Sie und ich, mein Lieber, werden im Zweifel erschossen.«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.«
»Was meinen Sie, wie Sie reagieren werden? Werden Sie einknicken und um Gnade flehen?«
»Höchstwahrscheinlich«, sagte Camille realistisch.
»Aber Ihr Leben ist etwas wert. Meines auch, wobei das viele vermutlich anders sehen würden. Wir stehen gegenüber der Revolution in der Pflicht. Braunschweig schöpft aus dem Vollen. Was sagt Danton? Die Lage ist verzweifelt, aber nicht hoffnungslos. Er ist kein Narr, er wird seine Gründe zur Hoffnung haben. Trotzdem, Camille, ich habe Angst. Der Feind droht damit, die Stadt zu verwüsten. Die Menschen werden leiden, wie sie vielleicht in unserer ganzen Geschichte noch nicht gelitten haben. Können Sie sich die Rache vorstellen, die die Royalisten nehmen werden?«
Camille schüttelte den Kopf. Lieber nicht, hieß das.
»Provence und Artois werden zurückkommen. Marie Antoinette mit ihrem ganzen Hofstaat. Und die Priester. Kinder, die jetzt in der Wiege liegen, werden büßen für das, was ihre Eltern getan
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