Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Eunuchen.«
»Danton wird das nicht gutheißen.«
»Er muss es nicht gutheißen«, sagte Marat grimmig, »er muss nur die Notwendigkeit einsehen. Das sollte ihm leichtfallen, denke ich – selbst ein Kind kann die Notwendigkeit einsehen. Gutheißen! Denken Sie, ich heiße es gut?« Camille antwortete nicht. Marat überlegte. »Na ja, aber schlecht heiße ich es auch nicht«, sagte er dann. »Kein bisschen, um ehrlich zu sein.«
Die ersten Vorbereitungen zu den Konventswahlen sind bereits im Gange. Es tut sich etwas, so scheint es. Das Brot für den nächsten Tag wird gebacken, Theaterstücke werden geprobt.
Lucile hat ihr Kind wieder, Säuglingsgeschrei hallt durch die Zimmerfluchten mit ihren bemalten Decken, ihren Akten und ledergebundenen Gesetzbüchern, die noch nie eine Kinderstimme vernommen haben.
Am 1. September fällt Verdun. Wenn es dem Feind jetzt beliebt, auf Paris zu marschieren, kann er in zwei Tagen da sein.
Robespierre muss immer wieder an Mirabeau denken, an diese ausladenden Gesten, mit denen Mirabeau zu sagen pflegte, ›Mirabeau tut dies oder jenes‹ oder ›Dafür steht der Comte de Mirabeau gerade‹, als wäre er eine Figur in einem Stück, bei dem er selbst Regie führte. Er war sich all der Blicke bewusst, die nun auf ihm ruhten: Robespierre handelt. Oder – Robespierre handelt nicht. Robespierre sitzt ganz still und beobachtet die anderen dabei, wie sie ihn beobachten.
Er hatte sich geweigert, als Richter in Dantons Sondertribunal zu sitzen. In Dantons Augen war Zorn aufgeblitzt: »Dann sind Sie immer noch gegen die Todesstrafe, mein Freund?« Und doch war Danton selbst bislang gnädig gewesen. Bürger Sanson hatte sehr wenig zu tun gehabt. Die neue Enthauptungsmaschine hatte einen Offizier der Nationalgarde hingerichtet und ebenso den Sekretär der Zivilliste, aber das Todesurteil gegen einen adligen Journalisten war bis zum heutigen Tag unvollstreckt. Camille hatte seine Hände auf Dantons müde Schultern gelegt und schmeichelnd gesagt, dass es Unglück bringe, Journalisten hinzurichten. Worauf Danton gelacht hatte: »Wie du willst. Das Urteil aufheben kannst du nicht, also verschieb die Hinrichtung ein paar Mal. Wir verlieren den Mann irgendwo im System. Mach, was du für richtig hältst, meine Paraphe hast du ja.«
Mit anderen Worten, es herrschte Willkür; das Leben des Mannes war nur deshalb gerettet worden, weil Camille sich an irgendeinen Schlagabtausch mit ihm erinnerte, aus dem er ’89 als Sieger hervorgegangen war, was ihn so großmütig stimmte, dass er sich, um mit Fabre zu sprechen, auf seine Billignutten-Tour an Danton anwanzte und ihn damit am Ende eines langen Tages wieder in gute Laune versetzte (ein Geheimnis, so Fabre, das Camille gewinnbringend an Dantons Frau verkaufen könnte). Fabre wurmte die Sache – nicht aus Gerechtigkeitsliebe, dachte Robespierre, sondern weil er nicht so geschickt darin war, seinen Willen zu bekommen. Fand denn nur er, Robespierre, dass das Gesetz nicht derart benutzt und missbraucht werden durfte? Es verursachte ihm leisen Ekel, ein intellektuelles Unbehagen. Aber diese Regung stammte noch von früher, aus den Tagen vor der Revolution. Jetzt war das Recht der Diener der Politik; eine andere Haltung ließ sich mit dem Überleben nicht vereinbaren. Dennoch hätte es ihn angewidert, Danton nach Köpfen schreien zu hören, wie es dieser Teufel Marat tat. Wenn Danton eine Schwäche hatte, dann seinen Mangel an Tatkraft, seine Empfänglichkeit für Schmeicheltöne, und nicht nur aus Camilles Mund.
Brissot. Vergniaud. Buzot. Condorcet. Roland. Roland und wieder Brissot. In seinen Träumen lauerten sie lachend darauf, ihn in ihren Netzen zu fangen. Und Danton handelte nicht …
Das waren die Verschwörer – warum, fragte er sich (da er ja ein vernünftiger Mann war), fürchte ich eine Verschwörung, wenn niemand sonst es tut?
Und antwortete: Ich fürchte nur das, was mich die Vergangenheit zu fürchten gelehrt hat. Und dann die Verschwörer im eigenen Körper: das flatternde Herz, der schmerzende Kopf, der träge Darm, die Augen, die helles Sonnenlicht mit jedem Tag schlechter vertrugen. Hinter alldem steckte der große Meister, der verborgene Fädenzieher im Inneren; Alpträume weckten ihn morgens um halb fünf, und dann blieb ihm nichts, als in einer kläglichen Imitation von Schlaf dazuliegen, bis der Tag begann.
Was wollte dieser innere Intrigant erreichen? Dass er sich öfter mal einen Abend freinahm, um Romane zu lesen? Dass er
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