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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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haben.« Marat beugte sich vor, krumm und mit stechendem Blick saß er da. Genauso pflegte er auch am Rednerpult der Jakobiner zu stehen. »Es wird ein Schlachthaus sein, die ganze Nation wird zum Schlachthaus.«
    Camille stützte die Ellbogen auf den Tisch und sah Marat an. Er hatte keine Ahnung, was Marat von ihm hören wollte.
    »Wie der Vormarsch des Feindes aufgehalten werden kann, weiß ich nicht«, sagte Marat. »Das überlasse ich Danton und den Soldaten. Mir geht es um diese Stadt hier, um die Verräter im Innern, die Aufwiegler, die Royalisten, von denen unsere Gefängnisse wimmeln. Diese Gefängnisse sind nicht sicher, das wissen Sie so gut wie ich, wir haben die Leute in Klöstern eingesperrt, in Hospitälern, wir haben nicht genug Platz für sie, es gibt keine Sicherheit vor ihnen.«
    »Zu dumm, dass wir die Bastille abgerissen haben«, sagte Camille.
    »Und wenn sie ausbrechen?«, fragte Marat. »Nein, das sind keine Hirngespinste von mir – das Instrument der Inhaftierung, die Idee der Haft als solche, setzt ein gewisses Einverständnis des Opfers voraus, eine gewisse Mitwirkung. Was passiert, wenn diese Mitwirkung aufgekündigt wird? Während unsere Truppen in die Schlacht ziehen und die Stadt in der Obhut von Frauen, Kindern und Politikern zurücklassen, strömt der Adel aus den Gefängnissen, greift auf seine versteckten Waffenlager zu …«
    »Waffenlager? Reden Sie keinen Unsinn. Was meinen Sie, wozu die Kommune ihre Haussuchungen durchgeführt hat?«
    »Und können Sie mir dafür einstehen, dass nichts übersehen worden ist?«
    Camille schüttelte den Kopf. »Was erwarten Sie denn von uns? Dass wir in die Gefängnisse gehen und sie alle umbringen?«
    »Endlich«, sagte Marat. »Ich dachte schon, wir kommen nie ans Ziel.«
    »Kaltblütig?«
    »Ganz wie Sie wollen.«
    »Und Sie nehmen die Sache in die Hand, ja, Marat?«
    »O nein, es würde ganz spontan passieren. Wenn das Volk in solcher Todesangst ist, so verzehrt von Hass auf seine Feinde …«
    »Spontan?«, wiederholte Camille. »Aber mit Sicherheit.« Und doch, dachte er – wir haben eine Stadt, die von der Vernichtung bedroht ist, wir haben eine aufgebrachte Bevölkerung, wir haben eine Flut blinden, ungerichteten Hasses, die gegen die Bastionen des Staates schwappt und über die öffentlichen Plätze spült, wir haben ein Ziel für diesen Hass, wir haben willige Verräter bei der Hand – doch, ja, es wurde von Minute zu Minute vorstellbarer.
    »Nun kommen Sie schon, Mann«, sagte Marat. »Wir wissen beide, wie man so etwas einfädelt.«
    »Aber wir haben doch schon mit den Prozessen gegen die Royalisten begonnen«, wandte er ein.
    »Denken Sie, uns bleibt ein Jahr oder zwei? Ein Monat? Auch nur eine Woche?«
    »Nein. Nein, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Aber Marat, wir haben nie – ich meine, für so etwas haben wir uns nie hergegeben. Es ist Mord, ganz gleich, wie Sie es betrachten.«
    »Nehmen Sie die Hände vom Gesicht. Heuchler! Was soll das denn ’89 gewesen sein? Mord hat Sie groß gemacht. Mord hat Sie von der Straße weggeholt und Sie dahin gebracht, wo Sie heute sitzen. Mord! Was ist das schon? Ein Wort!«
    »Ich werde Danton Ihren Vorschlag übermitteln.«
    »Ja. Tun Sie das.«
    »Aber er wird nicht mitspielen.«
    »Das soll er halten, wie er will. Es wird so oder so passieren. Entweder steuern wir es, soweit es geht, oder es geschieht, ohne dass wir irgendetwas daran steuern können. Danton muss entweder Herr oder Diener sein – was liegt ihm mehr?«
    »Er wird seinen guten Namen verlieren. Seine Ehre.«
    »Ach, Camille«, sagte Marat sanft. »Seine Ehre!« Er schüttelte den Kopf. »Ach, mein armer Camille.«
    Camille lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah zur Decke empor, betrachtete die Reihen von Gesichtern an der Wand. Die Augen der Minister waren trüb unter ihrer Patina, das Weiße darin zerfressen vom Alter. Hatten sie Frauen gehabt, Kinder? Hatten sie irgendwelche Gefühle gekannt? Hatte sich unter den gestickten Wämsern je ein Brustkorb gedehnt, je ein Herz geschlagen? Die Gesichter starrten ungerührt zurück, ihnen war nichts zu entnehmen. Die Beamten vor seiner Tür waren weitergegangen. Er hörte eine Uhr ticken, hörte Sekunde um Sekunde verstreichen. »Das Volk hat keine Ehre«, sagte Marat. »Es hat sie sich nie leisten können. Ehre ist reiner Luxus.«
    »Und wenn die anderen Minister einschreiten?«
    »Andere Minister? Ersparen Sie mir das. Was sind schon die anderen Minister?

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