Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
mehr Freunde fand, beliebter wurde? Doch die Leute sagten: Habt ihr diese getönten Gläser gesehen, hinter denen Robespierre sich neuerdings versteckt? Finster sieht er damit aus!
Danton trägt einen scharlachroten Mantel. Er steht vor der Versammlung. Die Zuhörer jubeln, einzelne schluchzen auch. Der Lärm von der Galerie ist bis über den Fluss zu hören.
Die Donnerstimme gehorcht ihm mühelos, er atmet, wie Fabre es ihm beigebracht hat. Zwei Gedankenstränge laufen in seinem Kopf parallel: Pläne, die geschmiedet, Armeen, die in Stellung gebracht, diplomatische Manöver, die eingeleitet sein wollen; zwei Wochen halten meine Generäle durch, und danach (sagt er sich stumm), danach mache ich etwas völlig anderes, danach verkaufe ich ihnen die Königin, wenn sie sie nehmen, oder meine Mutter, oder ich kapituliere, oder ich schneide mir die Kehle durch.
Der zweite Gedankenstrang: Handlungen entstehen durch Worte. Wie können Worte ein Land retten? Indem sie Mythen schaffen, denn für ihre Mythen kämpfen die Menschen bis zum letzten Blutstropfen. Wie hat Louise Gély gesagt: »Die Leute müssen nur gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Wenn sie erst einmal wissen, welchen Standpunkt sie einnehmen sollen, wie sie der Situation begegnen müssen, wird alles einfach für sie.« Sie hat so recht, dieses Mädchen … Die Sachlage ist völlig klar. Selbst eine Vierzehnjährige begreift das. Schlichte Worte sind vonnöten. Wenige, kurze Worte. Er strafft die Schultern, streckt seinen Zuhörern die Hand hin. »Wagt es«, sagt er. »Wagt es einfach. Wagt immer wieder. Nur so rettet ihr Frankreich.«
(Und für diesen Augenblick, schrieb jemand, war dieser abstoßende Mensch schön.)
Er fühlt sich wie ein römischer Kaiser, der seine eigene Apotheose miterlebt. Lebende Götter wandeln nun auf den Straßen, Götzen laden die Kanonen, zinken die Karten.
Legendre: »Der Feind stand vor den Toren von Paris. Danton kam und rettete unser Land.«
Es ist sehr spät. Marats Gesicht im Flackerschein der Kerzen schimmert bleich wie das eines Ertrunkenen. Fabre kichert vor sich hin. Neben seinem Ellbogen steht eine Flasche Weinbrand. Zu diesem Zeitpunkt sind etwa ein Dutzend Männer im Raum. Sie haben sich nicht mit Namen begrüßt und vermeiden es, einander anzusehen. In einem knappen Jahr werden sie außerstande sein, zu sagen, wer da war und wer nicht. Ein Sektionsleiter, der betont den Plebejer hervorkehrt, raucht zum Fenster hinaus, weil die Versammlung sich an seinem Pfeifenqualm stört.
»Mit Willkür hat das nichts zu tun«, sagt ein Mann aus der Kommune. »Wir wählen vertrauenswürdige Patrioten aus, Männer aus den Sektionen, die wir mit den vollständigen Listen ausstatten. Jeder Gefangene wird einzeln verhört, etwaige Unschuldige, die nicht schon auf freiem Fuß sind, werden entlassen und die anderen verurteilt. Wie klingt das?«
»Recht gut«, sagt Marat. »Solange es nur ein mögliches Urteil gibt.«
»Und was denkt ihr, wem diese Travestie nutzen soll?«, fragt Camille den Mann von der Kommune. »Da könnt ihr doch genauso gut hineingehen und die Leute gleich wahllos abschlachten.«
»Darauf wird es am Ende ohnehin hinauslaufen«, sagt Marat. »Aber wir sollten wenigstens einen Anschein von Planmäßigkeit wahren. Nur schnell müssen wir handeln, Bürger, sehr schnell. Das Volk hungert und dürstet nach Gerechtigkeit.«
»Ach, Marat«, sagt Camille. »Verschonen Sie uns mit Ihren Parolen.«
Der Sansculotte mit der Pfeife nimmt sie aus dem Mund. »So was liegt dir nicht, oder, Camille? Warum gehst du nicht einfach nach Hause?«
Camilles Finger stochert auf die Papiere auf dem Tisch ein. »Weil es meine Zuständigkeit ist, es ist die Zuständigkeit des Ministers.«
»Wenn dir das hilft«, sagt der Sansculotte, »sieh’s einfach als die notwendige Folge des 10. August. Am 10. August haben wir etwas begonnen, und jetzt bringen wir es zu Ende. Wozu eine Republik gründen, wenn man dann zu zimperlich ist, sie zu erhalten?«
»Wie oft habe ich ihm das nicht schon gesagt!«, ruft Marat. »Gepredigt und gepredigt habe ich es ihm, dem törichten Jungen.«
In der Tischmitte liegt wie eine Trophäe die Paraphe des Justizministers. Mehr ist nicht nötig, um einen Mann oder eine Frau aus dem Gefängnis zu entlassen. Zwar stimmt es, dass Bürger Roland als Innenminister bei der Sache auch ein Wörtchen mitzureden haben sollte. Aber der allgemeine Eindruck ist, dass Roland weder im Bilde noch interessiert ist;
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