Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
sich. Ich bin bestimmt auch auf seiner Liste.«
»Seiner Liste?«
»Er hat doch sicher eine, meinen Sie nicht? Das würde zu ihm passen.«
»Laclos hatte Listen«, sagte Camille. »O Gott, manchmal wünsche ich mir das Jahr ’89 zurück. Laclos fehlt mir.«
»Mir auch. O ja, mir auch.«
Hérault de Séchelles führte den Vorsitz. Er warf einen Blick zu seinen Montagnards-Kollegen empor und zog eine Augenbraue hoch, eine Bitte um spätere Aufklärung. Sie schienen eine eigene Parlamentssitzung da oben abzuhalten, und jetzt war Camille offenbar irgendwie mit Égalité aneinandergeraten. Robespierre näherte sich seiner Coda. Er hatte seine Gegner auf der ganzen Linie mundtot gemacht. Camille würde seine Schlussworte verpassen, er würde den Applaus nicht mitbekommen. Der Herzog hatte ihn losgelassen, er war auf dem Weg zur Tür. Hérault musste daran denken, wie Camille vor Jahren einmal aus dem Gerichtssaal gerannt war, lange bevor sie miteinander bekannt geworden waren: den Kopf zurückgeworfen, sein Ausdruck ein Gemisch aus Verachtung und Triumph. Jetzt, im Winter ’92, rannte er genauso, sein Ausdruck nun ein Gemisch aus Verachtung und nackter Angst.
Annette war nicht zu Hause; er wollte sich verdrücken, aber Claude hatte seine Stimme gehört und kam heraus. »Camille? Sie wirken erregt. Nein, laufen Sie nicht weg, ich muss mit Ihnen sprechen.«
Claude wirkte selbst erregt – auf eine dezente, halb-offiziöse Art. Überall im Zimmer lagen girondistische Zeitungen aufgeschlagen. »Wirklich«, sagte Claude. »Der Ton öffentlicher Auseinandersetzungen heutzutage! So parterre! Musste Danton so etwas sagen? Der Deputierte Philippeaux fordert den Konvent auf, er soll Danton bitten, im Amt zu bleiben – vernünftig. Danton lehnt ab – auch vernünftig. Aber dann muss er partout hinzufügen, falls der Konvent Roland im Amt belassen will, soll er vorher die Erlaubnis von Rolands Frau einholen. Das ist ein unnötiger persönlicher Seitenhieb, vor so vielen Zuhörern auch noch, und natürlich hagelt es seitdem Gegenangriffe. Jetzt reden sie über Lucile und Danton.«
»Was nichts Neues wäre.«
»Warum lassen Sie solches Gerede zu? Ist etwas daran?«
»Ich dachte, seit der Geschichte über Annette und den Abbé Terray geben Sie nichts mehr auf die Zeitungen?«
»Das war ein groteskes Lügenmärchen – das hier ist etwas, das die Leute glauben werden. Es kann Ihnen doch auch nicht recht sein, was es über Sie unterstellt?«
»Was unterstellt es denn?«
»Dass Danton machen kann, was er will. Dass Sie nicht gegen ihn ankommen.«
»Tu ich ja auch nicht«, murmelte Camille.
»Es werden auch andere Männer erwähnt, nicht nur Danton. Ich will nicht, dass so über Lucile geredet wird. Können Sie ihr nicht klarmachen …«
»Lucile umgibt sich einfach gern mit einem gewissen Ruf, ohne ihn recht zu verdienen.«
»Wieso tut sie das? Wenn es nicht stimmt, warum gibt sie solchen Gerüchten dann Nahrung? Weil Sie sie vernachlässigen, deshalb.«
»Nein, das ist nicht der Grund. Wir haben sogar sehr viel Spaß miteinander. Aber herrschen Sie mich bitte nicht so an, Claude. Ich habe einen fürchterlichen Tag hinter mir. Während Robespierres Rede …«
Ein Kopf schob sich durch den Türspalt; die heutigen Dienstboten hatten wirklich keinerlei Manieren mehr. »Monsieur, der Bürger Robespierre wäre da.«
Robespierre hatte sich seit seiner farcenhaften Verlobung mit Adèle selten blicken lassen. Dennoch war er willkommen; Monsieur hatte ihn in guter Erinnerung. Claude eilte ihm entgegen, um ihn zu begrüßen; das Hausmädchen brachte noch rasch alle Anredeformen durcheinander, latschte dann hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. »Robespierre«, sagte Claude, »ich freue mich, Sie zu sehen. Können Sie wohl ein wenig zwischen uns vermitteln?«
»Mein Schwiegervater ist von der Angst vor Skandalen besessen.«
»Sie dagegen, glaube ich«, entgegnete Claude schlicht, »sind von einem Teufel besessen.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Robespierre. Er war untypisch gut gelaunt, so aufgekratzt, dass er fast ein Kichern unterdrücken musste. »Asmodeus?«
»Asmodeus hat als Serafim angefangen«, sagte Camille.
»Du auch. Also, fechten wir es aus: Was bringt dich dazu, während meiner Rede aus dem Saal zu laufen?«
»Nichts. Ich meine, ich habe eine Äußerung von dir falsch verstanden, und ich habe eine Bemerkung gemacht, und alle haben sich auf mich gestürzt.«
»Ja, ich weiß. Es tut ihnen sehr
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