Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Tyrannen, die sich selbst in ein besseres Licht rücken. Die Vorstellung, dass Geschichte von bedeutenden Männern gemacht wird, ist völlig widersinnig, wenn man es aus der Warte des Volkes sieht. Die wahren Helden sind die, die sich den Tyrannen entgegengestellt haben, und in der Natur der Tyrannis liegt es nicht nur, ihre Widersacher zu töten, sondern auch, deren Namen aus den Büchern zu tilgen, sie auszumerzen, sodass Widerstand unmöglich erscheint.«
Ein Passant zögerte, starrte ihn an. »Verzeihung …«, sagte er. »Guter Bürger – sind Sie Robespierre?«
Robespierre beachtete ihn gar nicht. »Verstehst du, was ich über die Helden sagen will? Es gibt keinen Platz für sie. Widerstand gegen Tyrannen bedeutet Vergessenheit. Ich gebe mich dieser Vergessenheit willig anheim. Mein Name wird aus den Büchern verschwinden.«
»Guter Bürger, entschuldigen Sie«, sagte der Patriot hartnäckig.
Robespierres Blick streifte ihn flüchtig. »Ja, ich bin Robespierre«, sagte er. Er legte dem Bürger Desmoulins die Hand auf den Arm. »Geschichte ist Fiktion, Camille.«
ROBESPIERRE : … wie sollst du also nachfühlen können, wie es mir damals ging? Die ersten beiden Schuljahre war ich nicht regelrecht unglücklich, in gewisser Weise war ich sogar glücklich, aber ich lebte wie in einer Zelle für mich allein, abgeschottet von allen Menschen – bis Camille kam. Hältst du mich jetzt für sentimental?
SAINT-JUST : Schon, ja.
ROBESPIERRE : Du verstehst einfach nicht, wie es war.
SAINT-JUST : Wozu dieses Wühlen in der Vergangenheit? Warum nicht den Blick auf die Zukunft richten?
ROBESPIERRE : Viele von uns würden die Vergangenheit gern hinter sich lassen, aber das geht nicht, sie lässt sich nicht völlig abstreifen. Du bist jünger als ich, natürlich denkst du in die Zukunft. Du hast keine Vergangenheit.
SAINT-JUST : Nicht gar keine.
ROBESPIERRE : Vor der Revolution warst du Student, du hast dich auf dein Leben vorbereitet. Du hattest nie einen anderen Beruf. Dein Beruf ist Revolutionär. Du bist eine völlig neue Gattung.
SAINT-JUST : Das denke ich auch manchmal.
ROBESPIERRE : Wie soll ich das erklären … Als Camille kam … Ich finde es manchmal schwierig, mit anderen zurechtzukommen, mir fliegen die Herzen nicht zu. Ich konnte nie verstehen, warum Camille sich mit mir abgab, aber ich war dankbar dafür. Er wirkte wie ein Magnet auf die Menschen. Er war genau derselbe wie jetzt. Schon mit zehn hatte er dieses … dieses düstere Strahlen.
SAINT-JUST : Was für eine Ausdrucksweise.
ROBESPIERRE : Es hat mir alles leichter gemacht. Camille hat immer darüber geklagt, dass seiner Familie nichts an ihm liegt. Ich konnte das nie feststellen. Und selbst wenn, was machte es denn aus – solange andere ihn so sehr liebten.
SAINT-JUST : Dann sagst du im Grunde also, wegen dieser Verbindung in eurer Vergangenheit ist sein Tun über jeden Vorwurf erhaben?
ROBESPIERRE : O nein. Ich sage lediglich, dass er eine extrem komplizierte Persönlichkeit ist und dass wir uns, was immer er anstellt, sehr nahestehen. Camille ist hochintelligent, weißt du. Und er ist ein hervorragender Journalist.
SAINT-JUST : Ich habe meine Zweifel an den Meriten der Journalisten.
ROBESPIERRE : Du magst ihn ganz einfach nicht.
3. Die sichtbare Ausübung der Macht
(1792–1793)
Danton konnte keine Gesandten mehr sehen. Einen wie langen Teil jedes Tages hatte er nicht stumm auf eine Landkarte gestarrt, den Kontinent im Geist umgeordnet, Türkei, Schweden, England, Venedig … Wenn sich England nur aus diesem Krieg heraushält. Wenn es nur bitte, bitte neutral bleibt. Alles, nur nicht die englische Flotte … Aber jetzt, wo es von englischen Agenten nur so wimmelte, wo alle von Sabotage und Fälschung munkelten …. Ja, natürlich hat Robespierre recht, England ist uns grundsätzlich feindlich gesinnt. Aber wenn wir uns auf diese Art Krieg einlassen, kommen wir dann zu Lebzeiten wieder heraus? So kurz, dachte er säuerlich, wie diese Lebzeiten voraussichtlich bemessen sein werden?
Seit er sein Amt niedergelegt hat, betreffen ihn einige dieser Fragen nicht mehr direkt. Aber auch so beschäftigt ihn genug: der Druck, dem König den Prozess zu machen, die Dummheit und Keiletreiberei der Brissotisten. Selbst nach Bouzots Rede hat er sich einen Rest Glauben an ihre guten Absichten bewahrt. Er wollte nicht in die Zwistigkeiten hineingezogen werden, aber man lässt ihm keine Wahl.
Bald, in einem Jahr vielleicht, hofft er Paris den
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