Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
leid.«
»Nicht Saint-Just.«
»Nein – gut – Saint-Just ist sehr streng in seinen Ansichten, er duldet kein Schwanken.«
»Duldet? Himmelherrgott, ich brauche ihn nicht um Erlaubnis zu bitten. Er hat gesagt, dass ich nicht tragbar bin. Wer gibt ihm das Recht, in eine Revolution hineinzuplatzen, die er nicht gemacht hat, und andere als untragbar zu bezeichnen?«
»Schrei mich nicht an, Camille. Er hat schließlich das Recht, eine Meinung zu äußern, oder?«
»Aber ich nicht?«
»Niemand will dir dein Recht dazu nehmen – du bist nur kritisiert worden, als du es ausgeübt hast. Camille ist krankhaft sensibel«, erklärte er Duplessis fröhlich.
»In manchen Dingen lässt seine Sensibilität bedauerlich zu wünschen übrig.« Er nickte in Richtung der Zeitungen. Robespierre stutzte. Er nahm seine Brille ab. Seine Augen waren rot gerändert. Claude staunte über seine Geduld, über die Großmut, mit der er sich auf alles dies einließ.
»Versuch auf jeden Fall, diesen Klatsch zu unterbinden«, sagte Robespierre. »Oder, nein, unterbinden ist das falsche Wort. Das klingt, als wäre etwas Wahres daran. Nein, alle Seiten müssen einfach diskreter werden.«
»Um nicht die Aufmerksamkeit auf unsere Verfehlungen zu lenken«, sagte Camille.
»Ich muss Ihnen Camille entführen«, sagte Robespierre zu Claude. »Lassen Sie sich durch die Zeitungen nicht Ihren Seelenfrieden rauben.«
»Denken Sie, ich hätte welchen?« Er stand auf, um sie hinauszugeleiten. »Sehen wir uns am Wochenende in Bourg-la-Reine?«
»Bourg-la-République«, verbesserte Camille ihn. »Gute Patrioten haben kein Wochenende.«
»Oh, du kannst das Wochenende haben, wenn du möchtest«, sagte Robespierre.
»Vielleicht möchten Sie ja auch kommen?«, lud Claude ihn ein. »Aber das können Sie wohl nicht.«
»Ich bin momentan außerordentlich beschäftigt. Diese Sache mit Louvet hat mich viel Zeit gekostet.«
Ganz abgesehen davon, dass du sowieso nicht mitkommen dürftest, dachte Camille. Nicht ohne Eléonore, und Madame als Aufpasserin für Eléonore, und Charlotte als Eléonores und Madames Aufpasserin, und Babette, weil sie sonst Zeter und Mordio schreien würde, und Victoire, weil es nicht recht wäre, sie daheimzulassen. »Soll ich kommen?«, fragte er seinen Schwiegervater.
»Ja. Lucile braucht frische Luft, und Sie, scheint mir, könnten eine kleine Gefechtspause vertragen.«
»Gönnen Sie mir denn eine?«
Claude schenkte ihm ein mattes Lächeln.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Camille.
»Wir gehen ein Stück spazieren und schauen, ob uns jemand erkennt. Weißt du, ich glaube, dein Schwiegervater hat dich fast ein bisschen gern.«
»Meinst du?«
»Er gewöhnt sich an dich. In seinem Alter braucht man etwas, worüber man sich aufregen kann. Trotzdem glaube ich –«
»Warum willst du herausfinden, ob die Leute dich erkennen?«
»Das ist so eine Marotte von mir. Es gibt Menschen, die mir Eitelkeit nachsagen. Findest du mich eitel?«
»Nein, das ist nicht das Wort, das mir als Erstes einfallen würde.«
»Für mich selbst bin ich kaum sichtbar.«
»Kaum sichtbar?« Camille witterte den Auftakt zu einem Anfall krankhafter Verzagtheit; Robespierre haderte mit seinem Ruhm, seine Bescheidenheit konnte selbstzerstörerische Züge annehmen, wenn man ihr nicht rechtzeitig einen Riegel vorschob. »Es tut mir leid, wenn ich dich vorhin aus dem Konzept gebracht habe.«
»Nicht der Rede wert. Louvet ist abgeschmettert. Jetzt werden sie es sich zweimal überlegen, bevor sie einen neuerlichen Angriff auf mich wagen. Der Konvent« – er bog die Finger zusammen – »frisst mir aus der Hand.«
»Du siehst erschöpft aus, Max.«
»Wenn ich irgendwann Zeit zum Nachdenken habe, werde ich es auch sein. Egal. Es hat sich gelohnt. Du dagegen siehst munter aus. Du siehst aus, als wolltest du gleich die nächste Revolution auf die Beine stellen.«
»Das muss das ausschweifende Leben sein, das Brissots Freunde mir nachsagen. Es bekommt mir.«
Ein Mann stockte kurz und musterte sie. Er runzelte die Stirn. »Der ist sich nicht sicher«, sagte Camille. »Möchtest du denn erkannt werden?«
»Nein. Aber ich wollte in Ruhe mit dir reden. Man kann sich inzwischen ja fast nirgends mehr aufhalten, ohne belauscht zu werden.«
Das Hochgefühl war abgeebbt, jetzt blickte er verkniffen, den Mund zu einer schmalen, besorgten Linie zusammengepresst.
»Glaubst du das wirklich? Dass du überall belauscht wirst?«
»Das weiß ich.« (Wenn du mit
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