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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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dieses letzte Jahr sehr gefügig sein müssen, sehr duldsam, sehr blind auf beiden Augen. Sonst hätte er sich von mir scheiden lassen, glaube ich.«
    »Nein. Das hätte er niemals. Er ist letztlich ein sehr altmodischer Mensch.«
    »Ja, aber wir haben ja immer wieder gesehen, dass seine Leidenschaften mehr Gewalt über ihn haben als seine Gewohnheiten. Es hätte davon abgehangen … Wenn Lucile so willig wäre, wie sie tut … Aber sie würde Sie nie im Leben verlassen.« Sie klingelte nach einem der Mädchen. »Als er mit dem Brief kam – so außer sich –, da dachte ich, es kann nur etwas sein, das ich getan habe. Ich dachte, es wäre einer von diesen anonymen Briefen, und jemand hätte mich angeschwärzt.«
    »Sie verleumdet«, korrigierte Camille automatisch.
    Marie kam aus der Küche, ihre große Leinenschürze um den Bauch, das Gesicht in sorgenvolle Falten gelegt. »Catherine hat den Kleinen zu Mme Gély raufgebracht«, meldete sie ungefragt.
    »Marie, hol eine Flasche aus dem Keller … Ich weiß nicht, was hätten Sie gern, Camille? Was auch immer, Marie.« Sie seufzte. »Die Dienstboten nehmen sich immer mehr heraus. Ich wünschte – oh, ich wünschte, ich hätte schon eher mit Ihnen geredet.«
    »Ich denke, Sie hatten Angst, sich einzugestehen, dass wir beide in einer ähnlichen Lage sind.«
    »Weil Sie meinen Mann lieben, meinen Sie? Das weiß ich doch seit Jahren. Schauen Sie nicht so verblüfft – seien Sie ehrlich, wenn Sie Ihre Gefühle für ihn benennen müssten, welchen Namen hätten Sie sonst dafür? Aber ich glaube nicht, dass es bei mir Liebe ist, nicht mehr. Heute bin ich mit einem Menschen bekannt geworden, auf den ich mich schon lange vorzubereiten versucht habe. Ich habe mir gedacht … ich bin kein so schwaches Geschöpf, dass ich so jemanden zum Mann haben muss. Aber was für eine Rolle spielt das jetzt noch?«
    Danton stand vor ihnen. Etwas von der Energie von vorhin war verpufft. Er hielt seinen Hut in der Hand und den Mantel mit dem Schulterkragen über dem Arm. Er hatte sich rasiert; er trug einen schwarzen Rock und ein Halstuch aus schlichtem weißem Musselin.
    »Soll ich mitkommen?«, erbot sich Camille.
    »Guter Gott, nein. Warte hier auf mich.«
    Er marschierte hinaus. »Was hat er vor?«, flüsterte Gabrielle wieder. Eine Art Verschwörerstimmung schien sie und Camille erfasst zu haben. Sie trank in tiefen Zügen, die Handfläche um das Glas gewölbt, ihr Gesicht still und gedankenverloren; nach fünf Minuten langte sie herüber und nahm Camilles Hand.
    Er sagte: »Wir müssen davon ausgehen, wir müssen hoffen, dass es Defermon ist, der den Brief hat. Wir müssen davon ausgehen, dass er jetzt schon einen Monat deswegen zittert, die ganze Zeit bis zum Prozess gegen Louis. ›Wenn ich diesen Brief ernstnehme‹, wird er denken, ›wenn ich ihn im Konvent vorlese, wird der Berg über mich herfallen. Und der Abgeordnete Lacroix ist seit ihrer Zeit in Belgien gut Freund mit Danton, und Lacroix verfügt über Einfluss in der Ebene.‹ Er wird zu dem Schluss gelangen, dass die Einzigen, denen er einen Gefallen tun würde, Brissot und Roland und ihr Klüngel wären. Und er wird sich sagen, Danton kommt ganz offen zu mir, nicht wie einer, den das Gewissen drückt, und sagt mir, es ist eine Fälschung, eine List – Defermon wird ihm glauben wollen. Uns eilt ein so übler Ruf voraus, dass er um sein Leben fürchten wird, wenn er Danton verärgert. Sie haben gehört, was Fabre ihm bestellen soll: ›Danton persönlich verlangt ihn zu sprechen.‹ Defermon wird auf ihn warten, und er wird denken: ›Was soll ich tun, was soll ich nur tun?‹ Er wird sich schuldig fühlen, allein schon deshalb, weil der Brief bei ihm abgeliefert worden ist. Georges-Jacques wird ihn – niederwalzen.«
    Es wurde dunkel. Stumm saßen sie da, Hand in Hand. Sie dachte an ihren Mann, den großen Niederwalzer. Tag für Tag, seit 1789, drückte er die Leute mit seiner schieren Körperfülle an die Wand. Sie strich mit den Fingerspitzen an Camilles gepflegten Nägeln entlang. Sein Puls jagte wie bei einem kleinen Tier.
    »Georges hatte keine Angst mehr.«
    »Ja, aber ich gehöre dem sanftmütigeren Teil der Menschheit an.«
    »Sanftmütig? Tun Sie nicht so, Camille. Sie sind ungefähr so sanftmütig wie eine Schlange.«
    Er lächelte und wandte das Gesicht ab. »Ich dachte immer«, sagte er, »er wäre kein sehr komplizierter Mensch. Aber er ist es doch – sehr kompliziert in sich, sehr vielschichtig. Das

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