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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Paris, als sich Frankreich wieder einmal eines neuen Generalkontrolleurs der Finanzen erfreute, eines gewissen M. Joly de Fleury, der dafür gefeiert wurde, dass er die Steuer auf Nahrungsmittel um zehn Prozent erhöhte. Georges-Jacques’ Lebensumstände waren nicht einfach, aber er wäre enttäuscht gewesen, wenn er keine finanziellen Schwierigkeiten gehabt hätte – worauf sollte er sonst in den anvisierten Jahren seines Wohlstands zurückblicken?
    Maître Vinot hatte ihm harte Arbeit abverlangt, doch er hielt auch seine Versprechen. »Nennen Sie sich d’Anton«, riet er ihm, »das macht einen besseren Eindruck.« Auf wen? Nun, nicht auf den Adel, aber sehr viele zivilrechtliche Klagen kämen aus den unermesslichen Reihen derer, die sich von Rang und Würden blenden ließen. »Was macht es schon, wenn alle wissen, dass der Titel nicht echt ist?«, meinte Maître Vinot. »Sie zeigen damit, dass Sie die richtigen Bestrebungen haben. Haben Sie nachvollziehbare Ambitionen, mein Lieber. Damit wir uns beruhigt zurücklehnen können.«
    Als der Zeitpunkt gekommen war, sein Examen abzulegen, empfahl ihm Maître Vinot die Universität von Reims. Ein siebentägiger Aufenthalt und eine leicht zu bewältigende Lektüreliste, die Prüfer galten als entgegenkommend. Maître Vinot kramte in seinem Gedächtnis, um ihm jemanden zu nennen, der in Reims durchgefallen war, doch ihm fiel niemand ein. »Wobei«, fügte er hinzu, »Sie mit Ihren Fähigkeiten Ihr Examen natürlich auch hier in Paris machen könnten, aber …« Er beendete seinen Satz nicht. Machte eine wegwerfende Handbewegung, als hielte er das für ein weibisches intellektuelles Unterfangen, das man vielleicht in Perrins Kanzlei gutheißen mochte. D’Anton ging nach Reims, bestand, wurde als Advokat ins Parlament von Paris aufgenommen. Er trat in die Reihen der niedrigsten Anwälte ein, so fing man an. Von dort aufzusteigen war weniger eine Frage des Verdienstes als des Geldes.
    Er verließ die Île Saint-Louis, ließ Unterkünfte und Kanzleien unterschiedlicher Qualität aufeinander folgen, nahm Mandate unterschiedlicher Art und Zahl wahr. Er hielt sich an eine bestimmte Sorte Gerichtsfall – niederer Adel, Titelnachweis, Besitzrechte. Ein sozialer Aufsteiger, in dessen Patente er Ordnung gebracht hatte, würde ihn seinen Freunden weiterempfehlen. Unmengen von Details, komplex, aber nicht schwierig, die ihn nur in Maßen forderten. Nachdem er erst einmal das Erfolgsrezept gefunden hatte, lag der größere Teil seines Verstandes brach. Widmete er sich diesen Fällen, damit er Zeit hatte, über anderes nachzudenken? Selbstbetrachtung betrieb er damals nicht. Mit gelinder Überraschung, dann Verärgerung stellte er fest, dass er von Leuten umgeben war, die weit weniger intelligent waren als er. Stümper wie Vinot gelangten in hohe Positionen und zu beträchtlichem Wohlstand. »Wiedersehen«, sagten sie. »War keine schlechte Woche. Wir sehen uns nächsten Dienstag.« Dann fuhren sie übers Wochenende aufs Land – das, was die Pariser unter Land verstanden. Irgendwann würde er sich selbst ein Häuschen kaufen – nichts Großes, ein paar Hektar genügten. Vielleicht würde das seiner Ruhelosigkeit entgegenwirken.
    Er wusste, was er brauchte. Er brauchte Geld und eine gute Ehe, und er musste Ordnung in sein Leben bringen. Er brauchte Kapital, um eine eigene Anwaltspraxis aufbauen zu können. Mit seinen achtundzwanzig Jahren hatte er die Statur eines vielbeschäftigten Kohlenträgers. Es war schwierig, ihn sich ohne die Narben vorzustellen, aber womöglich hätte er ohne sie auf eine grobschlächtige Weise gut ausgesehen. Er sprach mittlerweile fließend Italienisch, übte sich mit Angelica darin, kam jeden Tag ins Café, nachdem die Gerichte sich vertagt hatten. Gott hatte ihm zum Ausgleich für sein übel zugerichtetes Gesicht eine kraftvolle, sonore, kultiviert klingende Stimme geschenkt, die den Damen einen Schauder über den Rücken jagte. Er erinnerte sich an den Preisträger, beherzigte dessen Rat, ließ seine Stimme aus den Tiefen seines Brustkorbs aufsteigen. Sie harrte noch der Vervollkommnung – etwas mehr Vibrato, eine ausgeprägtere Klangfarbe. Aber keine Frage: Sie war ein Trumpf, den er jederzeit ausspielen konnte.
    Gabrielle dachte: Aussehen ist nicht alles. Und sie dachte: Geld ist nicht alles. Sie musste einige solche Gedanken denken. Doch verglichen mit ihm erschienen ihr alle anderen Männer, die ins Café kamen, klein, zahm und schwach. Im

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