Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
sagen Sie, Pater, warum kleiden Sie sich wie ein Bankbeamter oder besserer Ladenbesitzer? Wären lange Hosen nicht angebrachter?«
»Da, wo ich aus und ein gehe, falle ich so weniger auf.«
»Beim Mittelstand.«
»Nicht ausschließlich.«
»Und Sie stellen fest, dass er der alten Ordnung anhängt? Das überrascht mich.«
»Das arbeitende Volk hat große Angst vor der Obrigkeit, M. Danton, wer immer sie vertritt. Und die meiste Zeit ist es damit beschäftigt, sich das Notwendigste zum Leben zu beschaffen.«
»Weshalb es spirituell verarmt ist, meinen Sie?«
»Monsieur, Sie sind nicht hier, um mit einem Priester über Politik zu rechten. Sie wissen um mein Amt. Ich gebe dem Kaiser, was des Kaisers ist, aus allem anderen halte ich mich heraus.«
»Aber Sie sehen mich doch wohl nicht als Kaiser, oder? Sie können nicht beanspruchen, über der Politik zu stehen, aber sich gleichzeitig selbst Ihren Kaiser suchen.«
»Monsieur, Sie sind hergekommen, damit ich Ihnen die Beichte abnehme, ehe Sie sich mit einer Tochter der Kirche vermählen. Bitte rechten Sie nicht, denn in dieser Sache können Sie nicht gewinnen oder verlieren. Das ist ungewohnt für Sie, ich weiß.«
»Darf ich Ihren Namen erfahren?«
»Ich heiße Pater Kéravenen. Früher in Saint-Sulpice. Wollen wir anfangen?«
»Meine letzte Beichte liegt fast ein halbes Leben zurück. Das strapaziert das Gedächtnis, ein halbes Leben.«
»Aber Sie sind doch noch ein junger Mann.«
»Das schon. Aber es waren ereignisreiche Jahre.«
»Als Kind hat man Ihnen beigebracht, jeden Abend Ihr Gewissen zu erforschen. Haben Sie diese Gewohnheit abgelegt?«
»Man muss schließlich auch schlafen.«
Der Priester lächelte wehmütig. »Vielleicht kann ich ja nachhelfen. Sie sind ein Sohn der Kirche, Sie sind keiner Art von Ketzerei anheimgefallen, nehme ich doch an – Sie waren möglicherweise säumig, aber Sie anerkennen die Kirche als die eine wahre Kirche, den einen Weg zum Heil?«
»Wenn es das Heil gibt, so wüsste ich keinen anderen Weg dorthin.«
»Glauben Sie an Gott, Monsieur?«
Danton überlegte. »Ja. Aber natürlich mit einer ganzen Reihe von Einschränkungen.«
»Belassen Sie es bei dem einen Wort, würde ich Ihnen raten. Es ist nicht an uns, Einschränkungen zu machen. Ihre eigene Andacht, Ihre Pflichten als Katholik – haben Sie die verrichtet oder eher vernachlässigt?«
»Sie verweigert.«
»Aber die Menschen in Ihrer Obhut – haben Sie Sorge für ihr Seelenheil getragen?«
»Meine Kinder sind getauft.«
»Gut.« Der Priester war offenbar leicht zu ermutigen. Er schaute auf. Sein Blick war unerwartet durchdringend.
»Sollen wir uns der Frage nach Ihren möglichen Verfehlungen zuwenden? Mord?«
»Nicht in dem Sinn.«
»Das sagen Sie in voller Überzeugung?«
»Hier geht es um ein kirchliches Sakrament, oder? Und nicht um eine Debatte im Nationalkonvent.«
»Einwand stattgegeben«, sagte der Priester. »Und die Sünden des Fleisches?«
»Fast alle wohl. Die üblichen eben. Ehebruch.«
»Wie oft?«
»Ich führe nicht Tagebuch wie ein liebeskrankes Schulmädchen, Pater.«
»Bereuen Sie?«
»Die Sünde? Ja.«
»Weil Sie Gott damit gekränkt haben?«
»Weil meine Frau tot ist.«
»Was Sie zum Ausdruck bringen, ist unvollkommene Reue – die unserer menschlichen Furcht vor Strafe und Schmerz entspringt –, nicht die vollkommene Reue, die aus der Gottesliebe hervorgeht. Trotzdem, die Kirche verlangt nicht mehr.«
»Ich kenne die Theorie, Pater.«
»Und Sie haben den festen Vorsatz, sich zu bessern?«
»Ich beabsichtige meiner zweiten Frau treu zu sein.«
»Ich könnte jetzt zu anderen Verfehlungen übergehen – Neid vielleicht, oder Zorn, Hochmut …«
»Ah, die Todsünden. Da können Sie bei mir alle sieben ansetzen. Oder, nein, lassen Sie die Trägheit weg. Lasten Sie mir lieber an, dass ich zu rührig gewesen bin. Ein wenig mehr Trägheit, und ich hätte vielleicht in anderer Hinsicht nicht so viel gesündigt.«
»Und dann Verleumdung.«
»Das ist das Handwerkszeug des Politikers, Pater.«
»Als Sie ein Kind waren, Monsieur, da hat man Sie auch die beiden Sünden wider den Heiligen Geist gelehrt, Vermessenheit und Verzweiflung.«
»Ich neige dieser Tage eher zum Verzweifeln.«
»Ich spreche nicht von weltlichen Dingen, wie Sie wohl wissen, sondern von geistlichen. Von der Verzweiflung am Heil.«
»Nein, am Heil verzweifle ich nicht. Wer weiß? Gottes Erbarmen geht seltsame Wege. Das sage ich mir
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