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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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warum ich ihn vernehmen musste. Ich habe meine Berufsehre. Ich bin Familienvater – ich will mir so etwas nicht anhören müssen. Die Frau hat in ihren Antworten Würde bewiesen. Das hat ihr Sympathie beim Publikum eingebracht.«
    Hébert hatte gestern behauptet, zusätzlich zu ihren anderen Verbrechen habe die Gefangene ihren neunjährigen Sohn zur Unzucht verführt; sie habe ihn zu sich ins Bett geholt und ihn gelehrt, sich selbst zu befriedigen. Seine Wärter hatten ihn dabei ertappt – o Gott, von wem hast du das gelernt? Von Mama, sagte das gerissene, verängstigte Kind. Hébert legte Beweise vor – der Knabe habe aus freien Stücken ein entsprechendes Dokument unterzeichnet. Die Handschrift des Kindes – greisenhaft, zittrig – hatte Bürger Fouquier einen momentlangen Stich versetzt. »Man hat selber Kinder«, murmelte er. Bürger Robespierre hatte sich nicht mit Murmeln begnügt. »Dieser Trottel Hébert!«, hatte er entrüstet ausgerufen. »Ist jemals eine so absurde Anschuldigung vor einem Gericht erhoben worden? Verlasst euch drauf – er rettet der Frau noch das Leben!«
    Ich frage mich, dachte Fouquier, was für ein Anwalt Bürger Robespierre seinerzeit war. Wahrscheinlich ist er regelmäßig vor Mitleid zerflossen.
    Er wollte sich gerade wieder seinem Vetter zuwenden, als Präsident Hermann aus dem Dunkel des Korridors in das Kerzenlicht trat, das die Anwälte, den Stuhl der Gefangenen und den leeren Zeugenstand umfing. Der Präsident bedeutete Fouquier mit einem Heben des Fingers, ihm zu folgen.
    »Plauder du ein bisschen mit Chauveau-Lagarde«, sagte Fouquier. »Armer Kerl, die Marat-Attentäterin hat er auch verteidigt. Seine Karriere dürfte gelaufen sein.«
    Lagarde sah auf. »Camille, was machen Sie hier? Wenn ich die Wahl hätte, brächten mich keine zehn Pferde hierher.« Dennoch schien er froh, ihn zu sehen. Er war es leid, mit seiner Mandantin zu reden. Sie war nicht sehr mitteilsam.
    »Wo könnte ich Besseres sein? Manche von uns warten schon sehr lange auf diesen Tag.«
    »Ja – gut, wenn Sie es so wollen.«
    »Ich denke, wir alle sollten dabei sein wollen, wenn Verrat geahndet wird.«
    »Sie greifen vor. Die Geschworenen beratschlagen noch.«
    »Es kann nicht sein, dass die Republik diesen Prozess verliert«, sagte Camille. Er lächelte. »Sie bekommen auch nur die dankbaren Mandate, wie?«
    »Kein Anwalt in Paris hat so viel Erfahrung mit aussichtslosen Fällen.« Lagarde war achtundzwanzig; er versuchte, aus allem das Beste zu machen. »Ich habe auf Begnadigung plädiert«, sagte er. »Was hätte ich sonst tun sollen? Die Anschuldigung gegen sie lautet, dass sie ist, was sie ist. Ihr wird vorgeworfen, dass sie existiert. Gegen so eine Anklage gibt es keine Verteidigung. Und selbst wenn – die Anklageschrift ist mir Sonntagabend zugestellt worden, und am Morgen darauf war schon die Verhandlung. Ich habe Ihren Vetter um drei Tage gebeten. Keine Chance. Als ihrem Mann der Prozess gemacht wurde, ging es deutlich geruhsamer zu. Und wenn sie zum Schafott gebracht wird, dann auf einem Karren.«
    »Der geschlossene Wagen war nicht sehr demokratisch, finde ich. Das Volk hat ein Recht darauf, sie zu sehen.«
    Lagarde warf ihm einen verdeckten Blick zu. »Ein hartgesottenes Volk seid ihr Guiser.« Und doch konnte man sie verstehen, dachte er, man empfand sie – Zeichen der Zeit – sogar als regelrecht wohltuend: den stoischen, verknöcherten Fouquier ebenso wie seinen exaltierten, hochgehandelten Vetter, der ihm den Posten verschafft hatte. Ganz gewiss zog man sie manchen anderen Dienern der Republik vor, Hébert etwa mit seinen obszönen Reden, seiner madenhaften Blässe. Zeitweise war ihm während der gestrigen Verhandlung richtiggehend übel geworden.
    »Ich weiß, an wen Sie gerade denken«, sagte Camille. »Diesen Ausdruck habe ich schon auf vielen Gesichtern gesehen. Ich vermute, Hébert hat sich Gelder des Kriegsministeriums unter den Nagel gerissen, und wenn ich einen Beweis dafür finde, haben Sie demnächst einen berühmten Mandanten mehr.«
    Fouquier eilte auf sie zu. »Die Geschworenen kommen zurück«, sagte er. »Mein Beileid im Voraus, Lagarde.«
    Man half der Gefangenen über den Gang zu ihrem Stuhl. Eben noch war sie im Dunkeln, im nächsten Moment fiel Licht auf ihr gefurchtes, zerstörtes Antlitz.
    »Alt schaut sie aus«, bemerkte Camille. »Sie scheint kaum sehen zu können, wo sie hingeht. Mir war nicht klar, dass sie so schlecht sieht.«
    »Das kann man kaum mir zum

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