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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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hört auf ihn.« Wenig später erhob er sich, dankte ihr, erklärte, er habe noch einige Vorbereitungen zu treffen. Camille stand auf und küsste Hérault auf die Wange. »Kommen Sie bald wieder. Unser regelmäßiger Austausch verkappter Beleidigungen wird mir sehr fehlen.«
    »So bald sicher nicht.« Héraults Stimme klang angespannt. »An der Grenze kann ich wenigstens sinnvolle Arbeit leisten, da kann ich den Feind sehen und ihn als Feind erkennen. Paris entwickelt sich langsam zu einem Hort der Aasgeier.«
    »Entschuldigen Sie vielmals«, sagte Camille, »dass ich Ihre Zeit vergeudet habe. Könnte ich meinen Kuss zurückhaben?«
    »Also ehrlich«, sagte jemand träge, »wenn Sie beide zusammen das Schafott besteigen müssten, dann würden Sie sich noch darüber streiten, wer den Vortritt hat.«
    »Oh, ich denke, da wäre ich im Vorteil«, sagte Camille. »Wobei ich nicht weiß, was das nun genau bedeuten würde. Mein Vetter entscheidet nämlich über die Reihenfolge der Hinrichtungen.«
    Ein würgendes Geräusch war zu hören, dann knallte jemand sein Glas auf den Tisch. Fabre starrte sie mit rotem Gesicht an. »Das ist nicht witzig«, sagte er. »Es zeugt von unglaublich schlechtem Geschmack und ist kein bisschen witzig.«
    Ein Schweigen entstand, in das hinein Hérault seine Abschiedsworte sprach. Nachdem er gegangen war, wurde die Unterhaltung mit gezwungener Heiterkeit fortgesetzt, angeführt von Fabre. Die Gäste brachen früh auf. Später, als sie im Bett lagen, fragte Lucile: »Was war denn heute nur los? Unsere Einladungen sind doch sonst immer ein Erfolg.«
    »Tja«, sagte Camille, »das bedeutet zweifellos das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen.« Müde fügte er hinzu: »Wahrscheinlich liegt es daran, dass Georges nicht da ist.« Er drehte sich von ihr weg, doch sie wusste, dass er wach war und auf die Geräusche der nächtlichen Stadt horchte; schwarze Augen, die ins schwarze Dunkel starrten.
    Irgendetwas stimmt nicht, dachte sie. Aber wenigstens war Camille jetzt, seit Saint-Just die Stadt verlassen hatte, häufiger mit Robespierre zusammen. Robespierre verstand ihn; er würde herausfinden, was los war, und es ihr sagen.
    Am nächsten Tag besuchte sie Eléonore. Falls es stimmte, dass Eléonore Robespierres Mätresse war, machte sie das keinen Deut glücklicher und ganz gewiss nicht liebenswürdiger. Sie brachte das Gespräch im Handumdrehen auf Camille.
    »Der«, sagte sie empört, »der lässt Max nach seiner Pfeife tanzen, und das gelingt sonst niemandem. Allen anderen gegenüber ist Max einfach immer nur sehr höflich und sehr beschäftigt.« Sie beugte sich vor, versuchte ihrem Kummer Ausdruck zu verleihen. »Er steht früh auf und erledigt seine Korrespondenz. Er geht in den Konvent. Er geht in die Tuilerien und kümmert sich um die Geschäfte des Wohlfahrtsausschusses. Dann geht er zu den Jakobinern. Um 22 Uhr tagt der Ausschuss. Erst in den frühen Morgenstunden kommt er zurück.«
    »Er verlangt sich viel ab. Aber was erwartest du? So ist er nun einmal.«
    »Der wird mich nie heiraten. Er sagt immer: sobald die Krise vorbei ist. Aber, Lucile, wird diese Krise je vorbei sein?«
    Einige Wochen zuvor hatten Lucile und ihre Mutter auf der Straße Anne Théroigne gesehen. Sie hatten sie beide nicht gleich erkannt. Théroigne war nicht mehr hübsch. Sie war dünn, und ihr Gesicht war eingefallen, als hätte sie ein paar Zähne verloren. Als sie an ihnen vorbeiging, flackerte etwas in ihren Augen auf, doch sie sagte nichts. Lucile fand sie bemitleidenswert – ein Opfer des Zeitgeschehens. »Jetzt hält sie bestimmt niemand mehr für attraktiv«, sagte Annette. Sie lächelte. Ihre letzten Geburtstage waren, wie sie es nannte, ohne Zwischenfälle verstrichen. Die meisten Männer betrachteten sie immer noch mit Interesse.
    Sie traf sich jetzt nachmittags wieder mit Camille. Er ging oft nicht in den Nationalkonvent. Viele der Montagnards waren auf kommissarischer Mission, viele der rechten Deputierten – diejenigen, die gegen den Tod des Königs gestimmt hatten – hatten sich ihren politischen Verpflichtungen entzogen und Paris verlassen. Über siebzig Abgeordnete hatten eine Protestnote gegen die Ausschließung von Brissot, Vergniaud und den anderen unterzeichnet; sie saßen jetzt im Gefängnis, und es war nur Robespierre zu verdanken, dass sie noch nicht in die Hände des Tribunals geraten waren. François Robert war in Ungnade gefallen, und Philippe Égalité harrte seines Prozesses;

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