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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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überstanden ist.«
    M. Duplessis griff nach seinem Hut, verbeugte sich und ging unter mehrfachem Nicken zur Tür. »Wird sie je überstanden sein?«, fragte Charpentier. »Es ist kaum vorstellbar.«
    Angélique rauschte heran. »Ich habe dich gesehen«, sagte sie. »Du hast unübersehbar gegrinst, als du ihn nach seiner Frau gefragt hast. Und Sie«, sie gab d’Anton einen Klaps auf die Schulter, »sind bei dem Versuch, Ihr Lachen zu unterdrücken, fast blau angelaufen. Was entgeht mir hier?«
    »Nur Klatsch, mein Schatz.«
    » Nur Klatsch? Was hat das Leben denn sonst zu bieten?«
    »Er betrifft Georges’ Zigeunerfreund, Monsieur Wie-man-gesellschaftlich-aufsteigt.«
    »Was? Camille? Du nimmst mich auf den Arm. Das sagst du bloß, um meine Gutgläubigkeit auf die Probe zu stellen.« Sie sah zu ihren grinsenden Cafégästen hinüber. »Annette Duplessis?«, sagte sie. »Annette Duplessis?«
    »Also, dann hör mal genau zu«, sagte ihr Mann. »Die Geschichte ist kompliziert, reich an Details, und keiner weiß, wo sie hinführen wird. Manche Leute kaufen sich ein Abonnement für die Oper, andere erfreuen sich an den Romanen von Mr Fielding. Ich persönlich habe Freude an hausgemachter Unterhaltung, und ich kann dir sagen, es gibt derzeit nichts Unterhaltsameres als das Leben in der Rue Condé. Für den Liebhaber menschlicher Torheit …«
    »Jesus Maria! Komm zur Sache«, sagte Angélique.

2. Rue Condé: Donnerstagnachmittag
    1787
    Annette Duplessis war eine Frau, die sich zu helfen wusste. Vier Jahre lang hatte sie das Problem, das ihr jetzt so zusetzte, elegant gehandhabt. Heute Nachmittag würde sie es lösen. Seit mittags ging draußen ein kühler Wind, Zugluft pfiff durch die Wohnung, fand Schlüssellöcher und Türritzen, ließ die schemenhaften Banner der nahenden Krise wehen. Ihre Figur im Sinn, trank Annette ein Glas Apfelessig.
    Claude Duplessis, den sie vor langer Zeit geheiratet hatte, war deutlich älter als sie; mittlerweile kam er ihr vor wie ihr eigener Vater. Warum hatte sie ihn überhaupt geheiratet? Das fragte sie sich oft. Sie konnte es sich nur so erklären, dass sie ein ernsthaftes junges Mädchen gewesen war, mit fortschreitendem Alter jedoch immer frivoler wurde.
    Als sie sich kennenlernten, war Claude dabei, sich mühsam im Staatsdienst hochzuarbeiten: durch die verschiedenen Ebenen und Ausformungen des Beamtentums, vom Subalternbeamten über den Unterbeamten und mittleren Beamten zum leitenden Beamten, Sonderbeamten, Beamten in excelsis , ja zum Inbegriff des Beamten jetzt und immerdar. Was ihr an ihm auffiel, waren vor allem seine Intelligenz und sein stetiger, engagierter Einsatz für die Belange der Nation. Sein Vater war Hufschmied gewesen, und obgleich er es als solcher zu einigem Wohlstand gebracht hatte – das letzte Mal hatte er vor Claudes Geburt am Amboss gestanden –, war Claudes beruflicher Aufstieg bewundernswert.
    Als seine ersten Anstrengungen hinter ihm lagen und Claude bereit war zu heiraten, sah er sich von einer Welle bestürzender Leichtfertigkeit fortgerissen. Sie war ein gut betuchtes, begehrtes Mädchen, das er aus Gründen erwählte, die nur ihm bekannt waren, und dem er schließlich seine Zuneigung schenkte. Gerade ihre grundlegende Verschiedenheit schien ein Beleg dafür, dass hier ein besonders tiefgreifender Prozess im Gang war; Freunde sagten ihnen eine Ehe jenseits der ausgetretenen Pfade voraus.
    Claude sagte nicht viel, als er um ihre Hand anhielt. Sein Medium waren die Zahlen. Und sie glaubte ohnehin nicht, dass sich tiefe Gefühle in Worte fassen ließen. Sein Gesicht wie seine Hoffnungen waren in die eisernen Schraubzwingen der Selbstbeherrschung eingespannt. Sie stellte sich vor, dass seine Unsicherheiten in seinem Kopf gegeneinanderklackerten wie die Kugeln eines Abakus.
    Ein halbes Jahr später waren ihre guten Absichten allesamt erstickt. Eines Nachts war sie im Hemdchen in den Garten hinausgerannt und hatte zu den Apfelbäumen und den Sternen gerufen: »Du bist so dröge, Claude!« Sie erinnerte sich noch an das feuchte Gras unter ihren Füßen, an ihr Frösteln, als sie zu den Lichtern des Hauses zurückgeblickt hatte. Sie hatte sich in die Ehe geflüchtet, um den Restriktionen ihres Elternhauses zu entkommen, damit jedoch ihre Freiheit in Claudes Hände gegeben. Du darfst nie wieder aus dem Gefängnis ausbrechen, sagte sie sich; das endet schrecklich, mit Leichen auf schlammigen Feldern. Sie schlich wieder hinein, wusch sich die Füße und

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