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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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besitzen, es aber gern täten.«
    M. Charpentier war durch etwas abgelenkt. Er blickte über d’Antons Schulter und lächelte. »Da kommt jemand, der uns Klarheit verschaffen kann«, sagte er. Mit ausgestreckten Händen ging er nach vorn. »M. Duplessis, Sie haben wir hier ja ewig nicht mehr gesehen. Sie kennen den Verlobten meiner Tochter noch gar nicht. M. Duplessis ist ein alter Freund, er arbeitet im Finanzministerium.«
    »Zur Buße für meine Sünden«, sagte M. Duplessis mit Leichenbittermiene. Er bedachte d’Anton mit einem Nicken, als wäre ihm der Name schon untergekommen. Er war großgewachsen, um die fünfzig, einst gutaussehend; schlicht, aber sorgfältig gekleidet. Sein Blick schien immer ein wenig über den betrachteten Gegenstand hinauszureichen, als ob marmorne Tischplatten, vergoldete Stühle und die schwarz gewandeten Gliedmaßen der städtischen Anwälte seine Sicht nicht behinderten.
    »Gabrielle heiratet also. Wann ist denn der große Tag?«
    »Wir haben das Datum noch nicht festgelegt. Im Mai oder Juni.«
    »Wie die Zeit vergeht.«
    Er setzte eine Platitüde neben die andere wie ein Kind seine aus Sand geformten Kuchen, und wenn er lächelte, musste man unwillkürlich an den Muskeleinsatz denken, der dazu erforderlich war.
    M. Charpentier reichte ihm eine Tasse Kaffee.
    »Mein Beileid wegen Ihres Schwiegersohns.«
    »Ja, eine schlimme Geschichte, unglückselig und erschütternd. Meine Tochter Adèle«, sagte er. »Verheiratet und verwitwet, und dabei selbst noch ein Kind.« Er sprach zu M. Charpentier, den Blick über die linke Schulter seines Gastgebers gerichtet. »Wir werden Lucile noch etwas länger bei uns behalten. Obwohl sie schon fünfzehn ist, sechzehn. Eine junge Dame. Töchter sind eine Belastung. Söhne auch, wobei ich keine habe. Und Schwiegersöhne sind eine Belastung, wenn sie einfach so sterben. Für Sie gilt das natürlich nicht, Maître d’Anton. Das war nicht persönlich gemeint. Sie sind bestimmt keine Belastung. Sie sehen ziemlich gesund aus. Sie strotzen regelrecht vor Gesundheit.«
    Wie kann er so würdevoll sein, fragte sich d’Anton, und dabei so wild und wirr daherreden? War er schon immer so gewesen oder erst durch die äußeren Umstände so geworden, und falls Letzteres, war es das Defizit oder seine häusliche Lage, was ihn aus der Bahn geworfen hatte?
    »Und Ihre liebe Frau?«, erkundigte sich M. Charpentier. »Wie geht es der?«
    M. Duplessis grübelte über diese Frage nach; er sah aus, als könnte er sich nicht einmal recht an ihr Gesicht erinnern. Schließlich sagte er: »Wie immer.«
    »Wollen Sie nicht mal zum Abendessen vorbeikommen? Mit Ihren Töchtern natürlich, wenn Sie möchten?«
    »Ich würde gern … aber die Arbeit … Ich bin jetzt unter der Woche oft in Versailles, nur heute hatte ich etwas Geschäftliches zu erledigen … manchmal arbeite ich auch am Wochenende.« Er wandte sich d’Anton zu. »Ich bin schon mein Leben lang beim Finanzministerium. Es ist eine lohnende Arbeit, aber mit jedem Tag wird es schwieriger. Wäre nur der Abbé Terray …«
    Charpentier unterdrückte ein Gähnen. Er hörte das nicht zum ersten Mal, keiner hier hörte es zum ersten Mal. Der Abbé Terray war für Duplessis der Größte unter den bisherigen Generalkontrolleuren der Finanzen, er war sein fiskalischer Held. »Wäre Terray geblieben, hätte er uns retten können; all die Pläne, all die Lösungen, die in den letzten Jahren vorgeschlagen wurden, hatte Terray schon vor vielen Jahren ausgearbeitet.« Damals war er noch ein junger Mann gewesen, die Mädchen Wickelkinder, und er war noch gern zur Arbeit gegangen, hatte sie jeden Tag als ein neues Unterfangen erlebt, als ständige Fortentwicklung. Doch die Parlamente waren gegen den Abbé vorgegangen, sie hatten ihn der Getreidespekulation beschuldigt und das dumme Volk dazu verleitet, ihn in effigie zu verbrennen. »Damals war die Lage noch nicht so dramatisch, die Probleme waren noch zu bewältigen. Aber seither kommen sie immer wieder mit den gleichen klugen Ideen an –« Er machte eine Geste der Verzweiflung. M. Duplessis lag die königliche Staatskasse sehr am Herzen, und seit der Abbé Terray nicht mehr da war, hatte sich seine Arbeit zu einer Art täglichem offiziellem Kummer entwickelt.
    M. Charpentier beugte sich vor, um ihm nachzuschenken. »Nein, ich muss gehen«, sagte Duplessis. »Ich habe Akten mitgenommen. Aber wir kommen gern auf Ihre Einladung zurück – sobald die derzeitige Krise

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