Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
die Straße hinaus erstreckt. »Angeblich stehen die Leute bis zur Münzanstalt«, flüstert Fabre.
Lacroix schaut zu den Fälschern hinüber. »Wie passend«, murmelt er.
Fabre fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Er sitzt in sich zusammengesunken auf dem Lehnstuhl, der normalerweise dem Hauptangeklagten vorbehalten ist. Als die Gefangenen am Abend zuvor in die Conciergerie verlegt wurden, konnte er kaum laufen, und zwei der Wächter mussten ihn zu der geschlossenen Kutsche geleiten. Ab und zu übertönt einer seiner Hustenanfälle die Stimme von Fabricius Pâris, und der Gerichtsschreiber nutzt die Gelegenheit, um Atem zu schöpfen; sein Blick wandert immer wieder zu dem gleichgültigen Gesicht seines einstigen Förderers Danton. Fabre zieht ein Taschentuch hervor und hält es sich vor den Mund. Seine Haut sieht feucht aus, blutleer. Manchmal dreht sich Danton nach ihm um und blickt ihm ins Gesicht; ein paar Minuten später schaut er dann nach Camille. Unbarmherzige Sonnenstrahlen fallen oberhalb der Geschworenen in den Saal und brennen sich in den schwarz-weißen Marmorboden. Der Nachmittag schreitet voran, und über dem Kopf von Zehnter-August-Leroy erstrahlt ein unverdienter Heiligenschein. Im Palais-Royal blüht der Flieder.
Danton: »Das muss aufhören. Ich verlange, hier und jetzt angehört zu werden. Ich verlange, dem Konvent schreiben zu dürfen. Ich verlange die Bildung eines Ausschusses. Camille Desmoulins und ich möchten gegen die diktatorischen Praktiken des Wohlfahrtsausschusses –«
Der aufbrandende Beifall übertönt ihn. Die Leute rufen seinen Namen, klatschen, stampfen mit den Füßen, singen die Marseillaise. Der Tumult pflanzt sich auf die Straße fort und wird so laut, dass die Klingel des Präsidenten nicht mehr zu hören ist. In wilder Pantomime schwenkt er sie in Richtung der Angeklagten, und Lacroix wiederum schüttelt die Faust gegen den Präsidenten. Keine Panik, keine Panik, lässt sich von Fouquiers Lippen ablesen, und als Hermann sich endlich Gehör verschaffen kann, vertagt er die Verhandlung. Die Gefangenen werden in ihre Zellen hinuntergeführt. »Diese Dreckskerle«, sagt Danton deutlich vernehmbar. »Morgen mache ich sie zu Hackfleisch.«
»Verkauft? Ich soll mich verkauft haben? Ein Mann wie ich ist für Geld nicht zu haben.«
Der zweite Tag.
»O nein, nicht noch einer«, sagt Philippeaux. »Wer ist dieser Mann?«
Danton schaut über die Schulter. »Das ist Bürger Lhuillier. Er ist Generalstaatsanwalt – oder war es vielmehr. Was machen Sie denn hier, Bürger?«
Lhuillier nimmt seinen Platz bei den Angeklagten ein. Er sagt nichts, wirkt benommen.
»Fouquier, was werfen Sie diesem Mann vor?«
Fouquier hebt den Blick, starrt den Angeklagten böse an und wendet sich dann wieder der Liste zu, die er in der Hand hält. Er flüstert wütend mit seinen Vertretern. »Aber Sie haben doch gesagt –«, beharrt Fleuriot.
»Ich habe gesagt, Sie sollen ihn vorladen. Nicht verhaften. Muss man denn alles selbst machen, verdammt!«
»Er weiß nicht, was er getan hat«, sagt Philippeaux. »Er hat keine Ahnung. Aber ihm wird schnell etwas einfallen.«
»Camille«, sagt Hérault. »Ihr Vetter ist wirklich unfähig. Er ist eine Schande für die Kriminalgerichtsbarkeit.«
»Fouquier«, fragt dessen Vetter ihn, »wie bist du eigentlich an diesen Posten gekommen?«
Der öffentliche Ankläger wühlt in seinen Unterlagen. »Ach, was soll’s«, brummelt er. Er begibt sich zum Richtertisch. »Eine Panne«, lässt er Hermann wissen. »Aber behalten Sie es für sich. Sonst machen uns diese Scheißkerle zum Gespött.«
Hermann seufzt. »Wir stehen alle unter enormem Druck. Trotzdem wünschte ich, Sie würden sich einer schicklicheren Sprache bedienen. Lassen Sie ihn hier, und ich werde am letzten Tag die Geschworenen anweisen, ihn aufgrund der schwachen Beweislage freizusprechen.«
Der Vizepräsident Dumas stinkt nach Schnaps. Die Menge hinten im Saal bewegt sich, ist unruhig, gefährlich, durch die Verzögerungen gelangweilt. Ein weiterer Gefangener wird hereingebracht. »Großer Gott«, sagt Lacroix. »Westermann.«
General Westermann, der Sieger der Vendée, baut sich vor den Angeklagten auf, massiv, streitlustig. »Wer zum Teufel sind all diese Leute?« Er deutet mit dem Daumen auf Chabot und seine Freunde.
»Verschiedene kriminelle Elemente«, sagt Hérault, »mit denen Sie konspiriert haben.«
»Ach ja?« Westermanns Stimme wird lauter. »Wofür halten Sie mich
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