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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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vom Hof trennt, hebt der Scharfrichter die Hand, um zu signalisieren, dass er verstanden hat. Man breitet eine Decke über Chabot. Sein Gesicht ist blau angelaufen. Er sinkt ins Koma. Nur seine Lippen bewegen sich noch.
    »Er hat sich Arsen kommen lassen«, sagt der Wärter. »Man kann nicht verhindern, dass die Gefangenen das, was sie sich bestellen, auch bekommen.«
    »Ja«, sagt Hérault zu Danton. »Ich habe mir das auch überlegt. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ein Selbstmord unter diesen Umständen einem Schuldbekenntnis gleichkommt. Außerdem lassen sie es sich ja nicht nehmen, dem Leichnam den Kopf abzuschneiden, und das ist von äußerst fragwürdigem Geschmack. Man sollte dem Pöbel ein Beispiel geben, finden Sie nicht? Wenn überhaupt, dann schneidet man sich besser die Pulsadern auf.« Ein Handgemenge auf der anderen Seite des Raumes lenkt ihn ab. »Mein lieber Camille – wozu das alles?«, fragt Hérault.
    »Sie machen uns ganz schön viel Ärger«, sagt einer der Wärter. Es ist ihnen schließlich gelungen, Camille zu fesseln. Sie haben überlegt, ob sie ihn versehentlich bewusstlos schlagen sollen, aber dann würde Sanson sie wieder übellaunig als verdammte Amateure bezeichnen. Bei dem Versuch, Camille festzuhalten, um ihm das Haar abzuschneiden, ist sein Hemd am Rücken aufgerissen, und jetzt hängt es ihm in Fetzen von den Schultern. Danton kauert sich neben ihn.
    »Wir müssen Ihnen die Hände binden, Bürger Danton.«
    »Einen Augenblick noch.«
    Danton nimmt Camille das Kettchen mit dem Medaillon vom Hals, in dem er eine Locke von Lucile aufbewahrt. Er legt es ihm in die gebundenen Hände und spürt, wie sich Camilles Finger darum schließen.
    »So, jetzt.«
    Lacroix gibt ihm einen Stoß in die Rippen. »Diese Belgierinnen – es war die Sache doch wert, oder?«
    »Es war die Sache wert. Aber nicht wegen der Belgierinnen.«
     
    Hérault steigt als Erster auf den Schinderkarren, etwas blass im Gesicht. Sonst sieht man ihm nichts an. »Ich bin froh, dass ich nicht mit den Dieben fahren muss.«
    »Nur Revolutionäre erster Güte auf diesem Karren«, sagt Danton. »Wirst du es schaffen, Fabre, oder sollen wir dich unterwegs begraben?«
    Fabre hebt mühsam den Kopf. »Danton. Die haben mir meine Papiere weggenommen.«
    »Ja, das machen sie immer.«
    »Ich hätte Die Malteser Orange so gern fertiggeschrieben. Es sind ein paar wirklich schöne Verse darin. Jetzt landet das Manuskript beim Ausschuss, und dann wird dieser Mistkerl Collot es als sein Werk ausgeben.« Danton legt den Kopf in den Nacken und lacht. »Die werden es im Théâtre des Italiens aufführen«, sagt Fabre, »unter dem Namen dieses verdammten Plagiators.«
    Pont-Neuf, Quai de Louvre. Der Karren schwankt und holpert. Er stellt sich breitbeinig hin, um stabil zu stehen und Camilles schlaffen Körper stützen zu können. Camilles Tränen dringen durch sein Hemd. Nicht um sich weint er, sondern um Lucile: um ihre gemeinsame, verwobene Identität, ihren endlosen Briefwechsel, ihr gemeinsames Repertoire an Gesten, Marotten, Witzen – alles verloren, alles dahin – und um ihr Kind. »Du genügst Héraults Anforderungen nicht«, sagt Danton leise.
    Er lässt den Blick über die Gesichter der Schaulustigen schweifen. Still, gleichgültig, behindern sie das Fortkommen der Karren. »Versuchen wir, in Würde zu sterben«, sagt Hérault.
    Camille fährt aus seiner Betäubung hoch. »Herrgott noch mal«, sagte er zu Hérault. »Lassen Sie diese verdammte Aristokratennummer.«
    Quai de l’École. Danton hebt den Blick zu den Hausfassaden. »Gabrielle«, murmelt er. Er schaut drein, als erwartete er, dort jemanden zu sehen: ein Gesicht, das sich hinter einen Vorhang zurückzieht, eine zum Abschied erhobene Hand.
    Rue Honoré. Die Straße zieht sich ewig hin. An ihrem Ende passieren sie, laut fluchend und schimpfend, das Haus der Duplays, dessen Fensterläden alle geschlossen sind. Camille versucht unterdessen, zu den Schaulustigen zu sprechen. Henri Sanson schaut besorgt über die Schulter. Danton senkt den Kopf, flüstert Camille zu: »Komm, sei ruhig. Lass das miese Pack.«
    Die Sonne geht unter. Bis wir alle tot sind, denkt Danton, wird es dunkel sein. Ganz hinten auf dem Karren spricht der Abbé Kéravenen lautlos die Sterbegebete. Als sie auf die Place de la Revolution einbiegen, hebt er die Hand zur bedingten Absolution.
    Über einen bestimmten Punkt gelangen wir – bedingt durch die Konvention und die Grenzen der

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