Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
nicht vorgeladen haben, werde ich meine Verteidigungsrede fortsetzen.«
»Aber Ihre Mitangeklagten müssen gehört werden.«
»Ach ja?« Danton schaut zu ihnen hinüber. Fabre, denkt er, liegt im Sterben. Ob ihm die Guillotine den Hals durchtrennen wird, bevor in seiner Brust etwas zerreißt und er in seinem eigenen Blut ertrinkt, ist eine rein akademische Frage. Philippeaux hat in der vergangenen Nacht kein Auge zugetan. Er hat stundenlang über seinen dreijährigen Sohn geredet, der Gedanke an das Kind lähmt ihn. Héraults Miene drückt unmissverständlich aus, dass mit ihm nicht zu rechnen ist; mit diesem Gericht wird er sich nicht abgeben. Camille befindet sich in einem Zustand emotionaler Auflösung. Er beteuert immer wieder, Robespierre habe ihn in seiner Zelle aufgesucht und ihm einen Tausch angeboten: sein Leben dafür, dass er sich als Zeuge für die Anklage zur Verfügung stellt – sein Leben, seine Freiheit und seine politische Rehabilitation. Niemand sonst hat Robespierre gesehen, aber Danton kann sich durchaus vorstellen, dass es so war.
»Komm, Lacroix«, sagt er. »Leg los.«
Lacroix ist sofort auf den Beinen. Er strahlt die Anspannung und das Hochgefühl von jemandem aus, der einen gefährlichen Sport betreibt. »Vor drei Tagen habe ich eine Liste meiner Zeugen eingereicht. Nicht einer von ihnen ist in den Zeugenstand gerufen worden. Ich fordere den öffentlichen Ankläger auf, mir in Anwesenheit des Volkes, das hier miterlebt, wie ich versuche, meinen Namen reinzuwaschen, zu erklären, warum mir mein Recht verweigert wurde.«
Ganz ruhig und gelassen, ermahnt sich Fouquier. »Das hat nichts mit mir zu tun«, sagt er unschuldig. »Ich habe nichts dagegen, dass Ihre Zeugen aufgerufen werden.«
»Dann sorgen Sie dafür, dass es geschieht. Es reicht mir nicht, zu wissen, dass Sie nichts dagegen haben.«
Plötzlich liegt Gewalt in der Luft. Vetter Camille steht neben Lacroix, eine Hand auf dessen Schulter gestützt, als stemmte er sich einem starken Wind entgegen. »Ich habe Robespierre auf meine Liste von Zeugen gesetzt.« Seine Stimme bebt. »Werden Sie ihn aufrufen? Werden Sie ihn aufrufen, Fouquier?«
Ohne ein Wort zu sagen oder sich vom Fleck zu rühren, vermittelt Fouquier den Eindruck, er werde im nächsten Moment den Gerichtssaal durchqueren und seinen Vetter niederschlagen – was niemanden verwundern würde. Mit einem Keuchen lässt Camille sich wieder auf die Bank sinken. Doch Hermann gerät erneut in Panik. Hermann, denkt Fouquier, ist ein miserabler Anwalt. Wenn die Anwaltschaft von Artois mehr nicht zu bieten hat, dann hätte er, Fouquier, ganz nach oben gelangen können. Wo er allerdings, genau genommen, ist.
Mit einem ungeduldigen Schnalzer geht er zu den Richtern hinüber.
»Das Publikum ist noch ungebärdiger als gestern«, sagte Hermann. »Die Angeklagten sind ungebärdiger als gestern. So kommen wir nicht weiter.«
Fouquier wendet sich den Angeklagten zu. »Es ist an der Zeit, dass dieses Gezanke aufhört. Es ist ein einziges Ärgernis, für das Tribunal wie für das Publikum. Ich werde den Konvent um Anweisung bitten, wie dieses Verfahren fortzusetzen ist, und wir werden seiner Empfehlung aufs Wort folgen.«
Danton beugt sich zu Lacroix hinüber. »Das könnte jetzt der Wendepunkt sein. Wenn die Deputierten von dieser Farce hier erfahren, werden sie vielleicht wieder zur Besinnung kommen und uns zu einer Zeugenanhörung verhelfen. Ich habe Freunde im Konvent, viele Freunde.«
»Glaubst du?«, fragte Philippeaux. »Du meinst, es gibt dort eine Menge Leute, die dir etwas schuldig sind. Wenn das hier noch ein paar Stunden so weitergeht, wird sich dir niemand mehr erkenntlich erweisen müssen. Und woher sollen wir wissen, ob man den Abgeordneten die Wahrheit sagt? Oder was sich Saint-Just einfallen lässt, um sie einzuschüchtern?«
Antoine Fouquier-Tinville an den Nationalkonvent:
Die Sitzung ist von Anfang an sehr stürmisch verlaufen. Die Angeklagten fordern mit größtem Nachdruck, dass von ihnen benannte Zeugen angehört werden. Sie rufen das Publikum zum Zeugen dessen auf, was sie als Verweigerung ihrer legitimen Ansprüche bezeichnen. Zwar sind der Vorsitzende und das gesamte Tribunal unnachgiebig, doch halten diese wiederholt geäußerten Forderungen die Verhandlung auf. Zudem erklären die Angeklagten ganz offen, dass sie derlei Unterbrechungen so lange vornehmen werden, bis ihre Zeugen aufgerufen werden. Daher bitten wir Sie um eine autoritative Entscheidung
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