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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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folge ich dem Rat im Vorwort und schenke dir ein Exemplar zur Hochzeit. Wenn dein Vater und ich irgendwann mal einen Mann für dich gefunden haben.«
    Lucile kommentierte das nicht. Wie gut, dachte sie, verbirgt sie doch – nur mit Hilfe eines Glases Cognac –, was dieser äußerst empfindliche Schlag für ihren Stolz in ihr angerichtet haben muss. Ihr war geradezu danach, ihrer Mutter zu gratulieren.
    »Er war da, um mit deinem Vater zu sprechen«, sagte Annette. »Er hat erzählt, dass er dir geschrieben hat. Du wirst ihn nicht wiedersehen. Wenn du weitere Briefe bekommst, bring sie sofort zu mir.«
    »Akzeptiert er die Lage?«
    »Das spielt keine Rolle.«
    »Hält mein Vater es nicht für angebracht, mich nach meiner Meinung zu fragen?«
    »Warum sollte man dich nach deiner Meinung fragen? Du bist ein Kind.«
    »Vielleicht sollte ich mal ein bisschen mit meinem Vater plaudern. Über gewisse Dinge, die ich gesehen habe.«
    Annette lächelte matt. »Skrupellos, wie, meine Liebe?«
    »Mir scheint es ein fairer Handel.« Lucile hatte das Gefühl, ihr werde der Hals zugeschnürt. Sie hatte sich so weit vorgewagt mit dieser neuen Art von Verhandlung, dass sie vor Angst kaum einen Ton herausbrachte. »Gib mir Zeit zum Nachdenken. Mehr verlange ich nicht.«
    »Und als Gegenleistung versicherst du mich deiner kleinkindlichen Diskretion? Was meinst du eigentlich zu wissen, Lucile?«
    »Na ja, immerhin habe ich dich meinen Vater noch nie so küssen sehen. Ich habe überhaupt noch nie gesehen, wie sich zwei Menschen auf diese Weise küssen. Es muss dir die ganze Woche verschönt haben.«
    »Zumindest hat es offenbar deine Woche verschönt.« Annette stand auf. Sie ging langsam durchs Zimmer, zu einer Vase mit Treibhausblumen. Schwungvoll zog sie den ganzen Strauß heraus und stellte die Blumen dann eine nach der anderen wieder hinein. »Du hättest auf eine Klosterschule gehen sollen«, sagte sie. »Es ist noch nicht zu spät, um deine Bildung abzurunden.«
    »Irgendwann müsstet ihr mich ja doch wieder herauslassen.«
    »O ja, aber solange du mit dem Absingen deines Cantus planus beschäftigt wärst, könntest du nicht anderen Leuten nachspionieren und dich in der Kunst der Manipulation üben.« Sie lachte, diesmal ohne jede Heiterkeit. »Bevor du in den Salon gekommen bist, hast du wahrscheinlich immer gedacht, was für eine lebenskluge, kultivierte Frau ich doch bin, oder? Dass ich nie etwas Falsches tue?«
    »O nein. Bis dahin habe ich immer gedacht, dass dein Leben ausgesprochen langweilig sein muss.«
    »Ich würde dich gern bitten, zu vergessen, was in den letzten paar Tagen geschehen ist.« Annette schwieg einen Augenblick lang, eine Rose in der Hand. »Aber das wirst du nicht tun, nicht wahr, denn du bist stur und eitel und entschlossen, das, was du fälschlich für deinen Vorteil hältst, auszunutzen.«
    »Ich habe dir nicht nachspioniert.« Das wollte sie unbedingt richtigstellen. »Adèle hat mich herausgefordert. Was wäre, wenn ich sagen würde: Ja, ich will ihn heiraten?«
    »Das ist undenkbar«, sagte ihre Mutter. Eine Blume, eisigweiß, glitt auf den Teppich.
    »Nicht unbedingt. Das menschliche Gehirn kann Wunder vollbringen.«
    Lucile hob die langstielige Rose auf und reichte sie ihrer Mutter. Sie saugte einen Tropfen Blut von ihrem Finger. Vielleicht mache ich es, dachte sie, und vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall werden weitere Briefe kommen. Sie wird nicht wieder den Montesquieu verwenden, sondern sie in Mablys Abhandlung aus dem Jahr 1768 stecken: Zweifel hinsichtlich der natürlichen Ordnung der Gesellschaft . Diese, so findet sie, sind plötzlich beträchtlich angewachsen.

3. Maximilien
    1787
    Mercure de France, Juni 1783: »M. de Robespierre, ein junger Advokat von seltenem Verdienst, hat in dieser Angelegenheit, in der es galt, die Sache von Kunst und Wissenschaft zu verteidigen, eine Beredsamkeit und einen Scharfsinn bewiesen, die von seinem Wissen das höchste Zeugnis ablegen.«
     
    Ich seh die Dornen an der Rose
    In diesem Strauß, den du mir reichst …
     
    Maximilien de Robespierre, Gedichte
    Der Zeitungssausschnitt war abgegriffen und vergilbte allmählich. Er hatte überlegt, wie er ihn konservieren und sauber halten könnte, doch das Blatt rollte sich an den Kanten bereits ein. Er kannte den Artikel bestimmt längst auswendig, doch hätte er ihn aufgesagt, hätte es auch ein selbst ersonnener Text sein können. Las man ihn hingegen von einem Blatt ab, das man in der Hand hielt,

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