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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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konnte man sicher sein, dass der Text die Meinung eines anderen Menschen wiedergab – formuliert von einem Pariser Journalisten, von Druckern gesetzt. Man konnte nicht behaupten, es sei nicht geschehen.
    Der Bericht über den Prozess war ziemlich lang. Die Sache war natürlich von öffentlichem Interesse. Begonnen hatte das Ganze damit, dass ein gewisser M. de Vissery aus Saint-Omer sich einen Blitzableiter besorgte und ihn auf seinem Dach installierte, von einer Schar verdrießlicher Einfaltspinsel beobachtet, die, als er fertig war, zur Stadtverwaltung stapften und behaupteten, dieses Ding ziehe in Wirklichkeit Blitze an und müsse wieder abmontiert werden. Warum sollte M. de Vissery den Blitz anziehen wollen? Nun, er stand wohl mit dem Teufel im Bunde.
    Also ging es vor Gericht, wo um das Recht des Staatsbürgers gestritten wurde, einen Blitzableiter zu besitzen. Der geschädigte Hauseigentümer konsultierte Maître de Buissart, der eine führende Gestalt der Arrasschen Anwaltschaft war und zudem eine starke naturwissenschaftliche Neigung besaß. Maximilien stand damals auf gutem Fuß mit de Buissart. Sein Kollege ereiferte sich: »Es geht hier ums Prinzip, verstehen Sie: Da versuchen Leute, den Fortschritt aufzuhalten, zu verhindern, dass der Nutzen der Wissenschaft verbreitet wird, und das dürfen wir, wenn wir uns denn als aufgeklärte Geister betrachten, nicht einfach so geschehen lassen – würden Sie sich uns vielleicht anschließen wollen, ein paar Briefe für uns aufsetzen? Meinen Sie, wir sollten Benjamin Franklin schreiben?«
    Eine Flut von Vorschlägen, Empfehlungen, wissenschaftlichen Stellungnahmen ging ein. Unterlagen wurden übers ganze Haus verteilt. »Also, dieser Marat …«, sagte de Buissart. »Es ist ja gut, dass er sich so engagiert, aber wir werden seine Hypothesen eher zurückhaltend handhaben. Wie ich höre, ist er bei den Wissenschaftlern der Académie nicht gut angeschrieben.« Als der Fall schließlich im Conseil verhandelt wurde, trat de Buissart beiseite und ließ de Robespierre die Plädoyers halten. De Buissart war zu Beginn des Rechtsstreits nicht klar gewesen, wie sehr dieser sein Gedächtnis und seine organisatorischen Fähigkeiten fordern würde. Sein Kollege schien den Anforderungen besser gewachsen zu sein, was de Buissart auf dessen Jugend zurückführte.
    Danach feierten die Gewinner ein Fest. Glückwunschbriefe gingen ein – vielleicht nicht körbeweise, aber es konnte kein Zweifel bestehen, dass der Fall Aufsehen erregt hatte. Er hatte noch sämtliche Unterlagen, Dr. Marats umfangreiches Beweismaterial, sein eigenes Abschlussplädoyer mit den in letzter Minute vorgenommenen Korrekturen am Rand. Und noch monatelang zückten seine Tanten, wenn Besuch kam, die entsprechende Ausgabe der Zeitung und fragten: »Haben Sie den Artikel über den Blitzableiter gelesen, in dem steht, wie gut Maximilien das gemacht hat?«
    Max ist ruhig, gelassen, ein unkomplizierter Mitbewohner; er ist gut gebaut und hat große Augen, ein changierendes Blaugrün. Sein Mund verrät Humor, sein Gesicht ist blass; er achtet auf seine Kleidung, die immer gut sitzt. Sein braunes Haar ist stets frisiert und gepudert; früher konnte er es sich nicht leisten, auf sein Äußeres zu achten; jetzt ist sein gepflegtes Äußeres sein einziger Luxus.
    Er lebt in einem gut geführten Haushalt. Um sechs Uhr steht er auf, arbeitet bis um acht am Schreibtisch. Um acht Uhr kommt der Barbier. Dann ein leichtes Frühstück: frisches Brot, eine Tasse Milch. Ab zehn ist er normalerweise im Gericht. Nach der Sitzung geht er seinen Kollegen tunlichst aus dem Weg und begibt sich so schnell wie möglich nach Hause. Da sein Magen von den Konflikten des Vormittags noch durcheinander ist, isst er nur etwas Obst und trinkt dazu Kaffee und ein wenig verdünnten Rotwein. Wie können die anderen schulterklopfend und lauthals lachend aus dem Gericht poltern, nachdem sie einander einen Vormittag lang niedergebrüllt haben? Und dann heimgehen, um üppig zu tafeln, große Stücke Fleisch zu verzehren? Er begreift das immer noch nicht.
    Nach dem Essen macht er einen Spaziergang, und zwar bei jedem Wetter, denn Brount, dem Hund, ist das Wetter egal, und wenn er drinnen bleiben muss, springt er bloß herum und bringt Unruhe ins Haus. Brount zieht ihn hinter sich her durch Straßen, Wald und Felder; wenn sie zurückkommen, sehen sie nicht mehr halb so präsentabel aus wie vorher. Seine Schwester Charlotte sagt: »Bring mir bloß

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