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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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ist das anders«, setzte er gütig hinzu. »Bei dir hätte ich nichts dagegen, wenn du dich als Stückeschreiber versuchen würdest, weil du als Anwalt so kläglich versagst. Ich finde, mein lieber Camille, du und ich sollten uns für ein Projekt zusammentun.«
    »Ich würde gern bei einer gewaltsamen, blutigen Revolution mitmachen, glaube ich. Irgendetwas, womit ich meinen Vater blamieren könnte.«
    »Ich dachte eher an etwas Kurzfristigeres. Etwas, das vielleicht sogar Geld bringt«, sagte Fabre tadelnd.
    Camille verzog sich in den Schatten und sah Fabre zu, wie er sich echauffierte. Die Sängerin kam zu ihm herüber und ließ sich in einen Sitz fallen. Sie kippte den Kopf nach vorn, bog das Kinn hin und her, um ihre Nackenmuskeln zu lockern, und umwickelte dann ihre Oberarme mit einem fransenbesetzten Seidenschal, der schon bessere Tage gesehen hatte. Bei ihr war es das Gleiche; ihr Ausdruck war mürrisch, schmallippig. Sie musterte Camille. »Kennen wir uns?«
    Er musterte sie seinerseits. Sie mochte etwa siebenundzwanzig sein, feinknochig, mit dunkelbraunem Haar und Stupsnäschen. Nicht unhübsch, aber es war etwas Verquollenes in ihren Zügen – als hätte jemand sie verprügelt, ins Gesicht geschlagen, und nun wäre sie halbwegs wiederhergestellt, aber noch lange nicht ganz. Sie wiederholte ihre Frage. »Ein bewundernswert direkter Ansatz«, sagte Camille.
    Die junge Frau lächelte. Zarter, zerschundener Mund. Sie hob eine Hand und massierte sich die Kehle. »Ich dachte wirklich, ich würde Sie kennen.«
    »Das Problem habe ich auch. Gerade kommt es mir vor, als würde ich ganz Paris kennen. Es ist wie ein Kreuzfeuer von Halluzinationen.«
    »Aber Fabre kennen Sie wirklich. Können Sie vielleicht ein gutes Wort für mich einlegen? Mit ihm reden, ihn in bessere Laune versetzen?« Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, vergessen Sie’s. Er hat recht, meine Stimme ist hin. Ich habe meine Ausbildung in England gemacht, können Sie sich das vorstellen? Ich hatte alle möglichen Pläne. Jetzt weiß ich nicht, was ich noch tun soll.«
    »Was haben Sie denn sonst so gemacht zwischen den Engagements?«
    »Meistens mit einem Marquis geschlafen.«
    »Da sehen Sie’s.«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Mir scheint, die Marquis sind auch nicht mehr so freizügig mit ihrem Geld, wie sie es einmal waren. Und ich, ich bin nicht mehr so freizügig mit meiner Gunst. Trotzdem – weiterziehen, das ist wohl das Beste. Ich glaube, ich probiere als Nächstes Genua, da habe ich Kontakte.«
    Ihm gefiel ihre Stimme, irgendein ausländischer Zungenschlag, er wollte, dass sie weiterredete. »Wo sind Sie her?«
    »Aus der Nähe von Lüttich. Ich – ich bin recht viel herumgekommen.« Sie stützte die Wange in die Hand. »Anne Théroigne heiße ich.« Sie schloss die Augen. »Gott, bin ich müde«, sagte sie. Ihre mageren Schultern unter dem Tuch schoben sich hin und her, als versuchten sie eine Last abzustreifen.
    Als er in der Rue Condé ankam, war Claude schon zu Hause. »Ich staune, Sie hier zu sehen«, sagte er. Er sah nicht danach aus. »Sie kennen die Antwort«, sagte er. »Sie lautet Nein. Niemals.«
    »Sind wir neuerdings unsterblich?«, sagte Camille. Er war genau in der Stimmung für einen Streit.
    »Ich könnte fast glauben, Sie drohen mir«, sagte Claude.
    »Hören Sie zu«, sagte Camille. »In fünf Jahren ist von diesem ganzen Spuk nichts mehr übrig. Es wird keine Finanzbeamten mehr geben, keine Adligen, die Leute werden heiraten dürfen, wen sie wollen, es wird keine Monarchie geben, keine Parlamente, und Sie können mir nicht mehr vorschreiben, was ich darf und was nicht.«
    In seinem ganzen Leben hatte er mit niemandem so gesprochen. Es war sehr befreiend, fand er. Vielleicht sollte er eine Laufbahn als Raubmörder einschlagen.
    Annette ein Zimmer weiter saß wie erstarrt in ihrem Sessel. Claude kam nur einmal alle halbe Jahre so früh heim. Camille konnte unmöglich mit ihm gerechnet haben; er schüttelte sich das alles aus dem Ärmel. Er will meine Tochter nur deshalb heiraten, dachte sie, weil jemand es ihm zu verbieten versucht. Und dieses größenwahnsinnige Ego hatte sie jahrelang in ihrem Salon gepäppelt, es wie eine seltene Zimmerpflanze mit Mokka und kleinen Vertraulichkeiten gefüttert.
    »Lucile«, sagte sie, »bleib hier sitzen, wag es nicht, durch diese Tür zu gehen. Ich lasse nicht zu, dass du dich gegen die Autorität deines Vaters auflehnst.«
    »Du hältst das für Autorität?«, fragte Lucile.

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