Brüder und Schwestern
Knattern. Wenig später hielt etwa 50 Meter entfernt von ihnen ein Barkas. Er war olivgrün gestrichen, so daß er sich kaum von den Bäumen abhob. Gab es also da hinten einen Weg? Die Männer verharrten, es schien, als warteten sie, ob jemand dem Barkas entsteigen und sich zu ihnen begeben würde. Aber nichts tat sich. Da packten sie Matti an den Armen und führten ihn zu dem Auto. Wie sich herausstellte, waren auch dessen Seitenscheiben grün getönt. Matti konnte nicht erkennen, welche und wie viele Insassen es hatte. Einer der Vierschrötigen ging um den Barkas herum, und Matti vernahm das schleifende Geräusch einer Scheibe, die sich nur schwer herunterkurbeln läßt. Stimmen wisperten, so vergingen bestimmt drei oder vier Minuten. Endlich erschien der Mann wieder. Er forderte Matti auf, sich nicht von der Stelle zu rühren, dann winkte er seinen Kompagnons, und alle vier stapften in die Richtung, aus der sie Matti hergeführt hatten. Langsam verlor sich das Knirschen ihrer Schritte. Nur am vereinzelten Knacken von Ästen konnte Matti hören, daß sie sich noch in der näheren Umgebung befanden. Wo wollten sie hin? Zurück in das Tunnelsystem, das es hier offenkundig gab? Aber dann hätten sie ihm doch nicht bedeutet zu warten. Plötzlich wußte er es: Sie wollten zu dem Schiff, garantiert waren sie soeben angewiesen worden, seine Angaben zu überprüfen.
Der Barkas, mit wem auch immer darin, stand drohend da. Matti starrte auf ihn, aber je länger er das tat, um so flackernder wurde sein Blick. Er hatte das unheimliche Gefühl, als werde er vom Wagen aus seziert. Seltsamerweise kam ihm dieses Gefühl bekannt vor. Diesem Sezieren – dem hatte er doch Karandasch ausgesetzt! Und damit sich selber, denn während des Niederschreibens war er natürlich in Karandaschs Haut geschlüpft. Erst hatte er empfunden, dann die Figur. Und jetzt war aus seiner Phantasie Realität geworden, nur daß um ihn kein Wasser plätscherte, sondern Bäume rauschten. Aber sonst: Beide Male gab es einen geheimnisvollen Tunnel. Beide Male führte dieser in eine verbotene Zone. Beide Male traten mehr oder minder tumbe Handlanger auf. Beide Male blieben die wahren Absichten ihres Befehlshabers unklar. Beide Male spürte er selber, vollkommen in dessen Hand zu sein. Und schließlich – beide Male saß der Befehlshaber in einem vierrädrigen Gefährt.
Noch immer starrte Matti auf den Barkas; und war das dort hinter den getönten Scheiben nicht der Oberste? Bewußt hatte er in seinem Text darauf verzichtet, dessen Gesichtszüge zu beschreiben, denn dieser Mann, der sollte geheimnisvoll und nicht faßbar bleiben; aber natürlich hatte er beim Dichten doch ein bestimmtes Gesicht vor Augen gehabt: Es war pockennarbig und glänzend, wie mit Vaseline überzogen. Vor diesen Pocken und diesem Glanz wich Matti jetzt buchstäblich zurück. Ihn überkam die Furcht, der Oberste könne ihn, wenn er noch länger angestarrt werde, gefangennehmen und in einen Kerker werfen; Matti hörte ihn sogar lachen: ›Du hast mir Leben eingehaucht – nun sieh zu, was ich mit dir anstelle!‹
Endlich hielt er es nicht mehr aus. Er wandte seinen Blick vom Barkas ab und schaute schräg an dem vorbei. Wo er nun aber zufällig hinschaute, dort entdeckte er, hinter dicht stehenden Bäumen, einen übermannshohen Stacheldrahtzaun, auf dem auch noch große Stacheldrahtrollen befestigt waren. Das Areal dahinter war für Matti kaum einsehbar, nicht nur wegen des hohen engmaschigen Zaunes und wegen der vielen Bäume, sondern auch, weil die Sonne Dutzende stählerne Lichtbündel auf die Erde warf, die ebenso undurchdringlich wie die Bäume zwischen ihm und dem Areal standen. Das einzige, was Matti zu erkennen glaubte, waren ein paar Güterwaggons. Oder waren es Holzbaracken?
*
Ehe er sich länger mit dieser Frage beschäftigen konnte, kehrten die Männer zurück. Abermals ging einer hinter den Barkas. Wieder ertönten gedämpfte Stimmen. Danach aber kam statt des Vierschrötigen ein schmaler Mann in einem grauen Anzug und schwarzen Lackschuhen zum Vorschein. Der Befehlshaber, kein Zweifel! Er trug eine Sonnenbrille mit äußerst dunklen, ovalen Gläsern, die so groß waren, daß sie zur Hälfte über seine keineswegs pockennarbigen oder auch nur großporigen Wangen lappten. Sie klebten beinahe auf seiner glatten Haut, es sah aus, als habe er zwei Teerflecken im Gesicht. Er ging auf Matti zu und sagte: »Sie hatten, glaube ich, gerade ein paar Unannehmlichkeiten, das bedaure
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