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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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dir, daß ich ihn nicht gelesen habe?« Matti fixierte nun seinen Bruder.
    »Du hast ihn tatsächlich gelesen?« fragte Carla.
    »Ich hatte das Vergnügen.«
    Carla wollte keinen Streit, sie fühlte sich im Kopf immer so seltsam, wenn Matti zu debattieren begann. Aber ließ denn sein Ton ein Schweigen ihrerseits noch zu? Mühsam lächelnd sagte sie: »Na, so ein Vergnügen scheint es wohl nicht gewesen zu sein.«
    Matti preßte die Lippen aufeinander, unverkennbar, er hielt sich zurück, vielleicht ihres Lächelns wegen, das kein übelwollendes war.
    »Du mußt schon sagen, was du daran kritisierst«, forderte aber Carla, denn wenn sie sich alles recht besah, war sie sich überhaupt keiner Schuld bewußt, sie hatte wirklich ihr Bestes gegeben beim Schreiben.
    Carlalein, dachte sich Erik, wie unklug von dir, es ist doch eigentlich schon vorbei gewesen.
    Matti klaubte ein paar Tortenbodenkrümel von seinem Teller. Nachdem er sich auf diese Weise zum Ruhebewahren gemahnt hatte, begann er in nüchternem Ton, Carla auf die Sprünge zu helfen: »Ich kritisiere an dem Bericht, daß er den Eindruck erweckt, es sei alles in Butter in dem Kraftwerk. Dabei hast du eben selber zugegeben, wie verdreckt dort die Luft ist. Warum aber ist sie verdreckt? Früher lag es daran, daß es keine Filter für die Schornsteine gab. Vor einiger Zeit hat man welche angeschafft, aber nachts, wenn niemand den gelben Qualm sieht, werden sie aus Kostengründen abgestellt, und so beißt es einem weiter in den Augen und in der Nase, so meint man, wenn man nur den Mund aufmacht, Schwefel, Gummi und Ruß zu inhalieren, alles in einem. Und ich kann dir noch mehr erzählen, ich kriege so einiges mit, wenn ich dort Kohle anlande. Die Schwaden von Dreck nämlich, und überhaupt die armseligen Bedingungen, führen zu einem hohen Krankenstand der Betriebsangehörigen, und dieser Krankenstand wiederum hat zur Folge, daß manchmal nur noch Notbesatzungen arbeiten – so sieht’s aus an diesem von dir als vorbildlich beschriebenen Ort, so und nicht anders.«
    »Ich habe nicht von einem vorbildlichen Ort geschrieben, sondern von vorbildlich sich einsetzenden Männern, das ist ein Unterschied.«
    »Du hast nur das Positive erwähnt, und alles andere hast du ausgeblendet, genau so, wie’s üblich ist in allen Zeitungsberichten, die man zu lesen bekommt. Ich kenne deren Verfasser nicht, ich kann sie also nicht ausfragen, aber du sitzt hier, und dich frage ich, ob du das andere nicht gesehen hast oder ob du es nicht sehen wolltest. Zum Beispiel der Krankenstand, kanntest du den, hast du mal nach dem gefragt?«
    »Krankenstand, dein Krankenstand war nun wirklich nicht das Thema. Es ging um die Kälte draußen und daß trotzdem Wärme produziert wird, das galt es herauszuarbeiten.«
    Matti fuhr mit der Hand durch die Luft. »Gut, Wärme, bleiben wir dabei. Mit keinem Wort wird erwähnt, daß es beinahe arschkalt geworden wäre in sämtlichen Wohnungen der Stadt, und zwar schon mehrmals. Vorige Woche, als dein Bericht erschienen ist, war in Klingenberg nur noch Kohle für zwei Stunden vorrätig, für zwei Stunden! Laß einen Kohlezug aus der Lausitz entgleisen, oder laß einen der Eisbrecher kaputtgehen, die uns gerade mit Müh und Not den Weg freiräumen – schon ist die Katastrophe da. Aber nichts davon findet man in deinem Artikel, nichts!«
    »Da weißt du mehr als ich.« Carla spitzte ihre Lippen.
    »So – aber wenn ich es erfahren habe, kannst du es genauso erfahren, immerhin bist du einen Tag dort gewesen.«
    »Was ist schon ein Tag.«
    »Vorhin klang das noch anders. Da hast du fast geschwärmt, ich hab’s noch genau im Ohr: ein ganzer Tag …«
    Carlas Blicke irrten im Raum umher.
    »Sie ist doch mit ihren Gedanken bestimmt schon ganz woanders«, Ruth griff sich mit beiden Händen an den Bauch. Sie merkte aber wohl, das war kein sonderlich stichhaltiges Argument, also fügte sie hinzu: »Und außerdem lernt sie ja gewissermaßen noch, Matti, sie ist noch so frisch in ihrem Beruf, wie lange Carla, anderthalb Jahre?«
    Carla sagte lieber nichts, denn ihre Schwiegermutter, die hatte die Jahre doch sehr zu ihren Gunsten zusammengepreßt.
    Matti wiederum schien durch Ruths Bemerkung nicht beruhigt, sondern erst recht in Rage versetzt worden zu sein. »Gerade wenn sie noch halbwegs frisch dabei ist, gerade! Da ist man doch noch nicht glattgeschliffen von irgendwelchen Umständen, da ist man doch noch neugierig, da stellt man doch noch Fragen – jedenfalls

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