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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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aufbauen, und sie, Willys Mutter, habe doch für Futter sorgen müssen. Willy selber schließlich hätte sich da und dort herumgetrieben, so sei Ruth ganz allein gewesen eines Tages. Und die Soldaten seien auch nicht von der halbwegs belebten Straße gekommen, sondern von unten, vom Fluß, angezogen wohl von der bunten, weithin sichtbaren Wäsche, die Ruth auf eine Leine geknüpft hatte, das solle und müsse Willy jetzt endlich erfahren, so werde er sich vielleicht geduldiger verhalten besonders dann, wenn er sie wieder einmal nicht verstünde, »aber ich wiederhole, du darfst es ihr gegenüber nie durchblicken lassen, ich habe ihr mein Wort gegeben, es niemandem, und gerade dir nicht zu erzählen, inständig hat sie mich darum gebeten, geradezu gefleht hat sie, wir haben keine Ahnung, was bis heute in ihr vorgeht, mein Junge, wir können uns gar nicht hineinversetzen …«
    Willy verfluchte jetzt auch Rudi. Der hätte sein Wort halten müssen! Aber was hatte Rudi getan? Er hatte unter dem Vorwand, Willys Verständnis zu wecken, etwas ausgeplappert, das einzig und allein ihn selber erleichtern sollte. Wenn sie gehen, dachte Willy, fangen sie alle an zu plaudern, wenn sie gehen, wollen sie alte Schuld, oder was sie dafür halten, nicht mitnehmen, und genau damit laden sie neue Schuld auf sich, eine letzte erbärmliche Schuld, denn all der Dreck, den sie absondern, um sich zu befreien, der landet immer nur bei uns, den Hinterbliebenen, und wir können uns abplagen damit.
    Willy versuchte erst gar nicht, zurückzurudern. Ruth wußte, wie er es gemeint hatte, das sah er ihr an. »Rudi«, sagte er leise, »hat mir erzählt, was … was geschehen ist.«
    Ruths Gesicht glich einer Maske.
    »Er wollte … es war in deinem Sinne«, murmelte Willy.
    »In meinem Sinne«, wiederholte Ruth ausdruckslos.
    »Ja, er wollte, daß ich dich …«
    »Wann?«
    »Ruth, ich weiß nicht, was du fragen …«
    »Wann er es erzählt hat.«
    »Kurz vor seinem Tod. Ruth, bitte, er wollte doch nur …«
    »Schon gut.« Sie drehte sich um und verließ, ohne die Arme zu bewegen, mit kleinen, wie ferngesteuerten Schritten die Küche.
    Seltsamerweise dachte Willy unmittelbar danach an die Schwimmhalle und daran, daß Ingo Altenhof derer jetzt nicht mehr habhaft werden konnte, da Britta ja sein Angebot nicht genutzt hatte und somit der Tauschhandel gar nicht erst in Gang gekommen war; aber andererseits war es vielleicht auch wieder nicht so seltsam, schließlich kurvt jeder auf irgendwelchen Nebenwegen herum, wenn’s auf der Hauptstraße partout nicht weitergehen will.
    *
    Wochen später saß Willy wieder einmal im Bahnwärterhäuschen. Obwohl sich die größte Aufregung bei ihm nun gelegt hatte, wurde deutlich, daß ihn noch so einiges bedrückte und sogar quälte, denn er gestand Achim: »Bei Altenhof, was habe ich mich da geschämt. Und das hört nicht auf seitdem. Schon als er Britta eine Schlange schimpfte, hätte ich aufstehen und gehen müssen. Und ich wollte ja, ich wollte. Ich spürte in dem Moment, in dem er es sagte, daß er mich in der Hand hätte, wenn ich nicht ginge. Diese Erniedrigung! Und sie ist immer grauenvoller geworden in den folgenden Minuten. Aber ich durfte nicht aufstehen. Ich meinte, Britta nur retten zu können, wenn ich sitzen bliebe.«
    »Du bist deiner Vernunft gefolgt. Darin lag der Fehler aber gar nicht.«
    »Sondern?«
    »In deiner Vernunft an sich. Sie ist begrenzt, sie ist in ihrem eigenen Bette geblieben. Das ist ja das Sympathische an ihr. Aber es hat dich zugleich immer tiefer sinken lassen.«
    »In ihrem eigenen Bette … was meinst du denn damit, wo hätte sich die Vernunft denn hinwenden sollen?«
    »In Altenhofs Bett. Aber ich wiederhole, das ist das Sympathische an ihr, daß sie das nicht konnte und nach meiner Einschätzung auch nie können wird. Du bist einfach nicht gewappnet gegen einen wie Altenhof. Er erscheint dir unheimlich, immer einen Schritt voraus, weil du außerstande bist, in seine Gedanken zu dringen. Bei Herbert Rabe ist dir das noch gelungen, das war ja auch einfach. Nach zwölf Jahren Kampf gegen die Nazis kannte der nur Richtig und Falsch. Sein gesamtes Dasein hat er in jeder Minute dementsprechend verbracht. Ob er beim Frisör saß oder am Küchentisch oder sich vor einer Tür nur die Beine vertrat – er nahm dabei doch immer den Klassenstandpunkt ein. Die Macht, die er ausübte, knallhart ausübte, war an eine einzige, alles überstrahlende Idee gebunden. Altenhof dagegen …«
    »…

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