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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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daran. Aber es fiel ihm jetzt ein, das Gelesene.
    Wieder an der Oberfläche, rief er Karin Werth zu: »Wir könnten an die Ostsee zelten fahren. Mit Jonas wird das sowieso nichts mehr. Und selbst wenn …«
    Statt einer Antwort tauchte jetzt sie, Karin Werth schwamm wie ein großer Fisch Richtung Ufer und glitt auf den Sand.
    Als auch Matti dort angelandet war, sah sie ihn traurig und mit einer Spur Mitleid an: »Paß auf, Matti, das geht nicht. Das geht – alles nicht. Es geht wirklich nur heute.«
    Matti starrte aufs Wasser: »Weil da schon jemand anderes ist, nicht wahr?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin gerade allein. Und ich will … oder muß … will es bleiben. Ich kann dir nicht sagen, warum, es ist nicht erklärbar. Nicht erklärbar. Vielleicht wirst du es später einmal verstehen … Herrgottnochmal, vielleicht wirst du später, wie rede ich denn, wie eine idiotische Lehrerin zu einem noch idiotischeren Schüler, aber du … du bist alles andere als ein Schüler …«
    »Dann war ich für dich ein kleines Vergnügen zwischendurch«, unterbrach Matti sie trotzig.
    »Sieh mich an«, bat sie leise, »sieh mich an. Und jetzt sag mir, ob du das tatsächlich glaubst. Sag’s mir! Sag’s!«
    »Nein … nein. Aber ich würde es jetzt gern verstehen, warum du so bist, nicht erst später. Du mußt es doch irgendwie erklären können, ich meine, gerade du. Das geht doch nicht, diese Unklarheit. Ja, du bist unklar.«
    »Das mag dir so scheinen«, erwiderte sie. »Das kann ich nicht ändern. Nie kann man das Bild ändern, das ein anderer von einem hat. Wie man sowieso viel zuwenig ändern kann …«
    Bei diesen Worten spürte er endlich, daß die Mattheit und die Ergebenheit, die den ganzen Tag bei ihr durchgeschimmert waren und die er nicht im geringsten hatte deuten können, weder ihm noch irgendeinem anderen galten, keinem einzelnen Menschen, sondern etwas Höherem, oder auch Niederem, irgendeiner Macht, der sie sich unterworfen fühlte. Aus irgendeinem Grund mußte sie so handeln, wie sie handelte, er hatte keine Chance, dagegen anzukommen, keine.
    Er muß todunglücklich ausgesehen haben. Weinte er nicht sogar? Karin Werth umarmte ihn lächelnd, und sie liebten sich noch einmal, aber die Motorradfahrt zurück absolvierten sie stumm. Matti umklammerte die Lenkergriffe der Jawa derart fest, daß er deren Profil noch Stunden später in den Handflächen abgedruckt fand. So strahlend war ihm die Zukunft auf der Hintour erschienen, so strahlend. Und jetzt war schon alles vorbei. Nie wieder würde er etwas Derartiges erleben. Nie wieder würde ihm so eine Frau begegnen. Weil es so eine nicht noch einmal gab.
    Matti sagte es ihr, nachdem sie an der Bushaltestelle vom Rücksitz gestiegen war, er konnte sich einfach nicht enthalten: »Nie wieder wird mir …«
    »Es kommen noch Bessere«, entgegnete Karin Werth mit großer Gewißheit, »du wirst sehen«, und wenn sie, sich ihrer Vorzüge bewußt, vielleicht doch wider ihre Überzeugung geredet haben sollte, so ließ sie es sich jedenfalls nicht im geringsten anmerken. »Ich bau auf dich«, fügte sie, wie um ihn zu den angeblich Besseren hinzutreiben, sogar noch an.
    Und dann ging sie.
    *
    Der Mensch, der in sein Unglück läuft, tut das für gewöhnlich nicht auf direktem Wege; geradewegs rennt er in einen Bus oder eine Bahn hinein, was sich dann Unfall nennt, aber ein Unglück, das ist ganz was anderes, dem Unglück nähert er sich auf verschlungenen Pfaden, und am Ende, wenn es ihn ereilt hat, weiß er gar nicht mehr, wann er eigentlich losgegangen ist.
    Karin Werth unternahm am nächsten Morgen eine ausgedehnte Wanderung. Kurz nach sechs Uhr war es erst, als sie aus der Stadt wanderte. Sie ging den Weg über die hölzerne Brücke nahe beim Werchowschen Grundstück, von der sie nicht wußte, daß Matti sie schon Tausende Male überquert hatte, denn ebensowenig wie er ihre Adresse kannte, kannte sie ja seine. Ein vielleicht 50jähriger Mann mit zu klein geratenem Mund, der Anzug und Aktentasche trug, kam ihr eiligen Schrittes entgegen und streifte sie mit einem irritierten Blick, wohl, weil er sich fragte, wohin diese Fremde in dieser Herrgottsfrühe wolle. Sie wußte es selber nicht. Irgendwohin in die Berge. Sie folgte der Schorba, bis die letzten Grundstücke hinter ihr lagen, gelangte an einen notdürftig mit Platten belegten Weg, der allem Anschein nach hinanführte; sie war erst zwei Jahre in Gerberstedt, war freitagnachmittags immer nach Erfurt

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