Brüllbeton - Kriminalroman
interessierenden Bauabschnitt war, kann ich so aus dem Kopf nicht mit Sicherheit sagen. Da müssen wir warten, bis meine Sekretärin die Unterlagen gebracht hat.«
»Gut«, erwiderte Kroll. »Warten wir. Aber eine Frage habe ich noch. Warum wurde an dieser Stelle der gesamte Oberbau aufgerissen, obwohl es doch nur um die Beseitigung des Brüllbetons ging, also gewissermaÃen um die oberste Haut der Fahrbahn?«
»Ach wissen Sie«, reagierte der andere etwas verärgert, »allein dieser Begriff âºBrüllbetonâ¹ geht mir auf die Nerven. Typische Journalistenhetze. Die sollten mal eine Woche bei uns auf dem Bau arbeiten, dann wüssten sie, wozu ihre Hände gut sind.«
Na ja, sinnierte Kroll, deine Hände sehen eigentlich auch nicht danach aus, als wären sie jemals mit Zementsäcken in Berührung gekommen. Aber auf diese Diskussionsebene wollte er sich nicht begeben. Also hakte er nach: »Wie konnte es denn dazu kommen, dass die Anwohner einen Schallpegel von mehr als 100 Dezibel ertragen mussten, 20 Dezibel über der zulässigen Höchstgrenze?«
»Für einen Kriminalrat sind Sie gut informiert«, antwortete Müller mit einem ironisch-überheblichen Ton. »Dann werden Sie auch wissen, dass wir die Auflage hatten, die Festigkeit der Betondecke zu erhöhen. Wir mussten uns ganz auf die Empfehlungen der Techniker verlassen, Eisenspäne unter den Beton zu mischen. Um gleichzeitig die Griffigkeit der Fahrdecke zu verbessern, wurde der Beton durch den sogenannten Besenstrich quer aufgeraut. Dass sich dabei der Pegel der Rollgeräusche so enorm steigern würde, konnte niemand voraussehen. Wir hatten groÃe Mühen und Kosten, um das dann wieder in den Griff zu bekommen. Eine ärgerliche Sache für das Image unserer Firma.«
»Das möchte ich auch nicht in Abrede stellen«, beschwichtigte Kroll. »Es beantwortet aber noch nicht meine Frage, warum dann die gesamte Betondecke bis auf die Unterschicht abgetragen werden musste.«
»Zunächst einmal: Dieser Aufbruch ist nur in einem kleinen Bereich beiderseits der Wakenitzüberquerung erfolgt, nicht auf der gesamten Strecke. Und dies allein auf Veranlassung der Baubehörde, die an diesen Stellen eine zu starke Umweltbelastung der geschützten Gewässer befürchtete.«
»Wenn ich das richtig verstehe«, schlussfolgerte Kroll, »haben wir die Tatsache, dass die Leiche überhaupt gefunden wurde, allein dem Nachhaken der Baubehörde zu verdanken. Ansonsten wäre die Fahrbahn nie aufgerissen worden. Die Tote hätte dort auf ewig ihre letzte Ruhe gefunden.«
Müller wollte antworten, wurde jedoch von der Sekretärin unterbrochen, die das Zimmer mit leeren Händen betrat. »Es tut mir leid, Chef, aber ich kann keine Unterlagen finden. Der gesamte Vorgang Z 23 fehlt, sowohl in den Aktenordnern als auch auf meinem Computer.«
»Das gibtâs doch nicht!«, schnauzte Müller seine Sekretärin an. »Das ist ein Skandal. Ich bin es gewohnt, dass in meinem Betrieb Ordnung herrscht. Und das ausgerechnet dann, wenn die Polizei im Haus ist. Ich erwarte bis morgen entweder alle angeforderten Unterlagen oder einen schriftlichen Bericht, warum Sie nicht in der Lage sind, Ihre Aufgaben ordnungsgemäà zu erledigen, Frau Brandinger.«
Die Frau wurde kreidebleich und machte erschrocken einen Schritt zurück zur Tür. Offenbar fehlten ihr die Worte. Nervös spielte sie mit der Türklinke. Kroll war Müllers Wechsel bei der Anrede seiner Sekretärin sofort aufgefallen. Vorbei war es mit dem vertraulichen âºMirjaâ¹. Der Mann wollte vor seinen Augen wohl den starken Mann spielen und jede Schuld von vornherein auf andere schieben.
Kroll spürte ein ausgeprägtes Unbehagen hochkommen. »Vielleicht sind die Unterlagen ja auch gestohlen worden.«
»Nicht in meinem Betrieb«, polterte Müller weiter. »Wer hätte schon ein Interesse daran, langweilige Akten zu stehlen. Verbrecher gibt es bei uns nicht.« Mit einem scharfen Seitenblick auf den Polizisten fügte er hinzu: »Und schon gar keine Mörder, Herr Kriminalrat!«
Der Hauptkommissar hatte keine Lust, erneut auf seine korrekte Dienstbezeichnung hinzuweisen. Er fühlte, dass er beim Firmenchef nicht weiterkommen würde. Diplomatisch leitete er seinen Abgang ein: »Das, Herr Müller, hat auch niemand behauptet. Am besten, ich ziehe mich
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