Brüllbeton - Kriminalroman
StraÃenbautechniken und ein riesiger Arbeitsplan mit verschiedenfarbigen Fähnchen und Stecknadeln. An der Seite stand ein sperriges Stativ, das an die Staffelei eines Malers erinnerte. Darüber hatte man den komplizierten Lageplan eines offenbar aktuellen Bauabschnitts der Autobahn Lübeck-Wismar ausgerollt.
Der Firmenchef saà in einem altmodischen Ledersessel hinter seinem Schreibtisch mit dem Rücken zu einer Regalwand, die von Aktenordnern und Handbüchern überquoll. Persönliches wie Blumen oder gar Fotos von der Familie konnte Kroll auf den ersten Blick nicht entdecken, auch nicht auf dem Schreibtisch.
Es schien, als würde er kein Privatleben führen. Oder er versuchte, es mit allen Mitteln zu verheimlichen.
Der Mann war in irgendwelche Berechnungen vertieft und bat den Hauptkommissar, ohne aufzuschauen, mit einer fahrigen Handbewegung, in einer Sitzecke neben der Tür Platz zu nehmen. Dann murmelte er etwas, das sich anhörte wie: »Moment Geduld bitte. Stehe gleich zur Verfügung.«
Kroll nutzte die Zeit, um sein Gegenüber genauer zu studieren. Eigentlich hatte er auf dem Chefsessel einer Baufirma einen grobklotzigen, kahlköpfigen und verschwitzen Kerl erwartet, der es gewohnt war, auch mal beim Schleppen von Zementsäcken mit anzupacken.
Doch Herr Müller war das Gegenteil von all dem. Dem leicht grau melierten Haar und den deutlichen Sorgenfalten auf der Stirn nach zu urteilen, schien er sein Fünfzigstes bereits überschritten zu haben. Dennoch machte er auf den Hauptkommissar wegen seiner langen, nach hinten zu einem Zopf gebundenen Mähne und seiner exquisiten, jedoch lässigen Kleidung einen jugendlichen Eindruck. Sicherlich ein Frauenheld, mutmaÃte Kroll.
Endlich schien Müller mit seinen Berechnungen fertig zu sein. Er erhob sich mit einem unüberhörbaren Seufzer, trat vor den Arbeitsplan und steckte ein Fähnchen auf eines der noch freien Felder.
»So, das hätten wir. âtschuldigung, dass ich Sie warten lieÃ, aber das hier musste ich erst zu Ende bringen. Sie müssen wissen, bei den riesigen Baustellen, die wir zu verantworten haben, darf nicht der kleinste Fehler unterlaufen. Ich habe es mir angewöhnt, stets sofort meine Entscheidungen hier auf dem Monatsplan festzuhalten. Meine Sekretärin überträgt das dann in ihren Computer, und so weià jeder, wo sein Platz ist und was er zu tun hat.« Müllers Stimme klang recht selbstbewusst. Vielleicht eine Spur zu überheblich, fand Kroll.
Müller setzte sich zu Kroll an den Seitentisch, ohne ihm die Hand zu geben. »Sie sind sicherlich hier wegen des bedauerlichen Vorfalls im Bauabschnitt A 20 Wakenitz-Niederung. Eine scheuÃliche Sache. Ich würde mich freuen, Ihnen bei Ihren Recherchen helfen zu können.«
Der Firmeninhaber schaute Kroll fragend an. Der Blick aus den tiefliegenden, dunklen Augen, die von kräftigen Augenbrauen beschattet waren, irritierte den Hauptkommissar. So eine Mischung aus sensibler Empfindsamkeit und kalter Berechnung hatte er in seiner Laufbahn noch selten erlebt. Offenbar war Müller kein einfacher, linearer Typ, überlegte Kroll. Irgendwie hatte er den Blick eines leidenschaftlich besessenen Künstlers, aber andererseits machte er den Eindruck eines knallharten, skrupellosen Geschäftsmanns. Sympathisch und abstoÃend zugleich.
»Nun ja«, antwortete Kroll, während er seinem Gegenüber fest in die Augen schaute. »Für mich gibt es in diesem Fall noch ein paar Ungereimtheiten. Dem Zustand der Leiche nach zu schlieÃen müssten wir davon ausgehen, dass es sich um ein perverses Sexualverbrechen handelt. Allerdings sprechen die Fundumstände eine etwas andere Sprache.«
Der Hauptkommissar bemerkte, wie Müller seinem Blick auswich. Nervös spielte er mit seinem Kugelschreiber. Nach einer kurzen Pause fuhr Kroll fort: »Erfahrungsgemäà finden derartige Gewaltdelikte in unzugänglichen Wäldern oder in abgeschlossenen privaten Wohnräumen statt, nicht jedoch auf einer weithin einsehbaren Baustelle. AuÃerdem scheint mir das nicht der geeignete Ort zu sein, um eine Leiche verschwinden zu lassen. Und dass die Frau dorthin zur Autobahntrasse erst nach ihrem Tode verfrachtet worden ist, dafür spricht eine Reihe von Indizien, die die Spurensicherung ermittelt hat.«
Der Firmenchef rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er schien sich in seiner Haut
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