Brüllbeton - Kriminalroman
jetzt zurück. Das Gespräch mit Ihnen war sehr aufschlussreich, und ich danke Ihnen, dass Sie mir einen kleinen Einblick in Ihre komplexe Arbeit vergönnt haben. Wenn die Dokumente wieder auftauchen â und ich bin sicher, das werden sie in einer so ordentlich geführten Firma â dann schicken Sie mir bitte eine Kopie in mein Büro.«
Er warf eine Visitenkarte auf den Schreibtisch, murmelte undeutlich ein Adieu und ging zur Sekretärin. »Da fällt mir ein, dass ich vorhin mein Licht hab brennen lassen. Liebe Frau Brandinger, wenn Sie so nett wären und mich zum Auto begleiten würden, dann könnten Sie mir eine kleine Starthilfe geben.«
Er fasste die Frau, die immer noch verschüchtert an der Tür stand, unter den Arm und zog sie einfach aus dem Chefbüro heraus, ohne weiter auf Müller zu achten. »Mein Mini-Cooper ist federleicht, das wird selbst für Sie als zierliche Frau kein Problem sein.«
Beim Auto angelangt, öffnete Kroll die Beifahrertür und sagte: »Nett, dass Sie mir helfen wollen.« Damit meinte er weniger die Starhilfe, als vielmehr die eingangs angedeutete Hilfe bei seinen Recherchen. Doch Mirja Brandinger hatte der Vorwurf ihres Chefs so sehr getroffen, dass sie immer noch nicht in der Lage war, zu sprechen.
Kroll nahm einen Aktenordner, der auf dem Beifahrersitz lag, schlug die Seite mit der Polizeizeichnung vom Gesicht des Opfers auf und zeigte sie der Frau. »Hier. Das ist der Grund, warum ich vorhin meinte, Sie könnten mir in dem Fall weiterhelfen.«
Mirja zuckte zusammen und wurde noch eine Spur bleicher. Fast schien sie in sich zusammenzufallen. »Aber ⦠das ist doch ⦠woher â¦Â«, stotterte sie.
Der Hauptkommissar legte ihr den Arm um die Schulter, um sie zu stützen und redete in beruhigendem Ton auf sie ein: »Bitte reiÃen Sie sich zusammen. Ich bin sicher, dass Ihr Chef uns beobachtet. Ich habe den Eindruck, dass ich Sie vor ihm beschützen muss. Deswegen bitte ich Sie, sich so unauffällig wie möglich zu benehmen. Am besten, wir beide schieben mein Auto an. Sie hinten, ich neben der Fahrertür. Ich springe dann zum richtigen Zeitpunkt hinein und gebe Gas. Darin habe ich Ãbung. Ich schlage vor, wir treffen uns morgen Abend nach Dienstschluss um 18 Uhr in dem Hofcafé in der WahmstraÃe. Dort, wo Sie sich vor ein paar Tagen mit Ihrem Liebhaber trafen.«
Wieder so ein Schlag für Mirja. Woher wusste der Polizist von ihrer Intimbeziehung zu Kevin? Sie kam nicht dazu, weiterzugrübeln. Kroll fing an, seinen Mini anzuschieben. Mirja blieb nicht anderes übrig, als schnell zur Heckscheibe zu stürzen und das bereits rollende Auto anzutreiben. Eine wirkliche Hilfe war sie nicht, wie Kroll feststellte. Aber das machte nichts. Er sprang beherzt auf den Fahrersitz â eine akrobatische Leistung, die nur derjenige beurteilen kann, der jemals hinter dem Steuer eines Oldtimer Mini-Cooper Baujahr 2000 gesessen hat. Der Motor sprang sofort an. Kroll gab Gas, und mit ohrenbetäubendem Lärm verschwand er von dem Bauhof der Firma Hoch und Tief Müller GmbH .
Im Rückspiegel sah er, wie die Sekretärin mit schleppenden Schritten in ihr Büro zurückkehrte. Hinter dem Fenster des Chefzimmers bewegten sich die Gardinen.
*
Als Kroll etwas verspätet den Hof des Cafés in der WahmstraÃe betrat, saÃen Mirja Brandinger und ihr jugendlicher Liebhaber bereits an einem Tisch in der Ecke. Sie tuschelten vertraut Kopf an Kopf gelehnt und hielten liebevoll Händchen. Am Nachbartisch hatte ein Ehepaar Platz genommen, offenbar Touristen, denn der Mann studierte den Stadtplan von Lübeck. Er trug einen gediegenen Herrenhut aus schwarzem Filz und eine stark getönte Hornbrille. Die Frau war in einen Reiseführer vertieft. Als der Hauptkommissar sich näherte, konnte er deutlich den Titel erkennen: 66 Lieblingsplätze und 11 Naturwunder in und um Lübeck . Er kannte und schätzte das Buch sehr und überlegte für einen kurzen Moment, welchen Tipp er den Touristen geben sollte. Aber dann besann er sich eines Besseren. SchlieÃlich war er dienstlich hier.
Er trat hinter das Liebespaar und räusperte sich. Als Mirja ihn erblickte, löste sie sich abrupt von ihrem Freund, als wäre sie in einer peinlichen Situation erwischt worden. Ihr Gesicht wirkte müde, ihre Augen flackerten nervös. Sie schien geweint zu haben. Heute war
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