Brunetti 01 - Venezianisches Finale
abgehalten, es auszusprechen. Selbst wenn uns also nichts bewiesen werden könnte, denken Sie nur einmal daran, was ein gerissener Anwalt daraus machen würde - ›Die Sopranistin mit der millionenschweren Sekretärin‹. Nein, man würde genau die richtigen Schlüsse daraus ziehen.«
»Sie könnte ja lügen«, sagte Brunetti, obwohl das auf Meineid hinauslief.
»Für einen italienischen Richter würde das keinen Unterschied machen. Außerdem glaube ich nicht, dass sie lügen würde. Nein, das täte sie bestimmt nicht. Nicht, was uns betrifft. Flavia ist wirklich überzeugt, dass sie über dem Gesetz steht.« Es schien ihr gleich wieder Leid zu tun, das sie das gesagt hatte. »Aber es sind alles nur Worte, Gerede, wie auf der Bühne. Sie schreit und wütet herum, aber das sind nur Gesten. Ich habe nie erlebt, dass sie gewalttätig geworden wäre, niemandem gegenüber. Nur Worte.«
Brunetti war Italiener genug, um zu glauben, dass Worte sich leicht zu etwas anderem auswachsen konnten, wenn es einer Frau um ihre Kinder ging, aber das behielt er für sich. »Darf ich Ihnen ein paar persönliche Fragen stellen?«
Sie seufzte resigniert, schon ahnend, was kommen würde und schüttelte den Kopf.
»Hat man je versucht, Sie beide oder eine von Ihnen zu erpressen?«
Das war eindeutig nicht die Frage, die sie befürchtet hatte. »Nein, nie. Weder mich noch Flavia, oder jedenfalls hat sie nie etwas erzählt.«
»Und die Kinder? Wie kommen Sie mit Ihnen zurecht?«
»Recht gut. Paolo ist dreizehn und Vittoria ist acht, er zumindest könnte also ahnen, was los ist. Aber andererseits hat Flavia nie etwas gesagt, es ist überhaupt nie darüber gesprochen worden.« Sie hob die Schultern und spreizte die Finger, womit sie alles Italienische ablegte und wieder ganz Amerikanerin wurde.
»Und die Zukunft?«
»Sie meinen das Alter? Nachmittags zusammen im Florian Tee trinken?«
Es war ein etwas milderes Bild, als er es vielleicht gezeichnet hätte, aber es entsprach ungefähr dem, was er meinte. Er nickte.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Solange ich mit ihr zusammen bin, kann ich nicht arbeiten, also muss ich darüber entscheiden, darüber, was ich will.«
»Was arbeiten Sie denn?«
»Ich bin Archäologin. China. Dadurch habe ich Flavia kennen gelernt. Ich habe vor drei Jahren bei der Ausstellung chinesischer Kunst im Dogenpalast geholfen. Da haben irgendwelche Honoratioren sie mitgebracht; sie sang zu der Zeit gerade die Lucia an der Scala. Und nach der Eröffnung war sie beim Empfang. Dann musste ich wieder nach Xian, dort ist das Ausgrabungsfeld. Wir sind dort nur zu dritt, drei aus dem Westen. Und ich bin jetzt schon seit drei Monaten weg, ich muss zurück, sonst bekommt jemand anderes meinen Platz.«
»Die Soldaten?«, fragte er. Die Terrakottastatuen, die er in jener Ausstellung gesehen hatte, waren ihm noch lebhaft im Gedächtnis. Jede einzelne hatte etwas ganz Individuelles und wirkte wie das Porträt eines Mannes.
»Das ist nur der Anfang«, sagte sie. »Es sind Tausende, viel mehr als wir uns vorstellen können. Wir haben noch nicht einmal angefangen, die Schätze im Hauptgrab auszugraben. Es gibt derart viel amtlichen Papierkram. Aber im vergangenen Herbst haben wir die Erlaubnis bekommen, mit den Arbeiten am Schatzgewölbe zu beginnen. Nach dem wenigen, was ich bisher gesehen habe, wird dies der bedeutendste archäologische Fund seit Tutanchamun. Genau genommen wird Tut zu einem Nichts, wenn wir erst angefangen haben herauszuholen, was da begraben liegt.«
Er hatte immer angenommen, die Leidenschaft von Wissenschaftlern sei eine Erfindung der Leute, die Bücher schrieben, der Versuch, sie etwas menschenähnlicher darzustellen. Aber wenn er ihr so zuhörte, wurde ihm klar, dass er sich da geirrt hatte.
»Selbst ihre Werkzeuge sind wunderschön, selbst die kleinen Essschalen der Arbeiter.«
»Und wenn Sie nicht zurückgehen?«
»Wenn ich nicht zurückgehe, geht mir alles verloren. Ich meine nicht den Ruhm. Der gebührt den Chinesen. Aber die Möglichkeit, diese Dinge zu sehen, zu berühren, ein Gefühl dafür zu bekommen, was es für Menschen waren, die alle diese Dinge gemacht haben. Das alles verliere ich, wenn ich nicht zurückgehe.«
»Und ist Ihnen das wichtiger als dieses hier?«, fragte er, mit seiner Geste den Garderobenraum umfassend.
»Das ist keine faire Frage.« Sie machte ihrerseits eine ausladende Geste, die das Make-up auf dem Frisiertisch, die Kostüme hinter der Tür und die Perücken
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