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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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fort, um zu tun, was immer sie zu tun hatten.
    Der Dirigent kam aus seiner Garderobe, machte die Tür hinter sich zu und ging an Brunetti vorbei, ohne auf ihn zu achten. Sobald er außer Sicht war, ging Brunetti ganz beiläufig den Gang hinunter und in die Garderobe. Niemand sah ihn hineingehen und wenn doch, so interessierte es keinen, was er dort wollte.
    Das Zimmer sah weitgehend noch so aus wie neulich abends, nur dass eine kleine Tasse mit Untertasse auf dem Tisch stand und nicht auf dem Boden lag. Er blieb nur einen Moment, dann ging er wieder.
    Sein Abgang wurde ebenso wenig bemerkt wie sein Auftritt und das nur vier Tage, nachdem in dem Zimmer ein Mensch gestorben war.

17.
    Als er nach Hause kam, war es zu spät, um noch Paola und die Kinder zum Essen auszuführen, wie er versprochen hatte. Außerdem erschnupperte er schon auf der Treppe die vermischten Düfte von Knoblauch und Rosmarin.
    Er trat in die Wohnung und erlebte einen Augenblick völliger Orientierungslosigkeit; denn aus seinem Wohnzimmer tönte ihm die Stimme von Flavia Petrelli entgegen, die er noch vor zwanzig Minuten im Theater hatte singen hören - inzwischen war es das Ende des zweiten Aktes. Er machte unwillkürlich ein paar Schritte nach vorn, bevor ihm einfiel, dass die heutige Vorstellung live übertragen wurde. Paola war nicht besonders opernbegeistert und sah sich die Übertragung wahrscheinlich nur an, um herauszufinden, wer von den Sängern ein Mörder sein könnte. Diese Neugier teilten sicher Millionen in Italien mit ihr.
    Aus dem Wohnzimmer hörte er die Stimme seiner Tochter Chiara rufen: »Papà ist da«, während gleichzeitig Violetta Alfredo bat, sie für immer zu verlassen.
    Er trat ein, als der Tenor gerade eine Handvoll Papiergeld in Flavia Petrellis Gesicht warf. Sie sank anmutig zu Boden, weinte und Alfredos Vater eilte über die Bühne, um seinen Sohn zurechtzuweisen. Chiara fragte: »Warum hat er das getan, Papà? Ich dachte, er liebt sie.« Sie blickte ihn fragend über ihren Papierwust hinweg an, der nach Mathematikhausaufgaben aussah und als sie keine Antwort bekam, wiederholte sie: »Warum hat er das getan?«
    »Er dachte, sie geht mit einem anderen Mann aus«, war das Beste, was Brunetti als Erklärung einfiel.
    »Aber was soll das? Sie sind ja schließlich nicht verheiratet oder so was.«
    »Ciao, Guido«, rief Paola aus der Küche.
    »Also«, beharrte Chiara, »warum ist er so sauer?«
    Brunetti stellte den Fernseher leiser und überlegte, was es wohl sein könnte, das alle Teenager taub machte. Daran, wie sie ihren Stift hochhielt und in der Luft damit herumwackelte, sah er, dass sie nicht vorhatte, das Thema fallen zu lassen. Er entschloss sich, ihr entgegenzukommen. »Sie haben immerhin zusammengelebt, oder?«
    »Ja und?«
    »Also, wenn zwei Leute zusammenleben, gehen sie gewöhnlich nicht mit anderen aus.«
    »Aber sie ist nicht mit einem anderen ausgegangen. Sie hat doch alles bloß getan, damit er glauben soll, dass sie es tut.«
    »Wahrscheinlich hat er es wirklich geglaubt und ist eifersüchtig geworden.«
    »Er hat aber gar keinen Grund, eifersüchtig zu sein, sie liebt ihn echt. Das sieht doch jeder. Er ist ein Blödmann. Außerdem ist es ihr Geld, oder?«
    »Hmm«, machte er, während er verzweifelt versuchte, sich an die Einzelheiten der Handlung von La Traviata zu erinnern.
    »Warum hat er sich nicht einfach einen Job gesucht? Solange sie alles bezahlt, hat sie auch das Recht zu tun, was sie will.« Vom Bildschirm ertönte donnernder Applaus.
    »Das ist nicht immer so, mein Schätzchen.«
    »Gut, aber manchmal doch, stimmt's, Papà ? Warum auch nicht? Bei den meisten meiner Freunde ist es so; wenn ihre Mütter nicht arbeiten wie Mamma, dann entscheiden die Väter alles, wo sie in den Ferien hinfahren und alles. Und manche haben sogar eine Geliebte.« Das letzte kam zaghaft, war mehr Frage als Feststellung. »Und sie können es tun, weil sie das Geld verdienen, also können sie bestimmen, was gemacht wird.« Nicht einmal Paola hätte wohl das patriarchalische System so genau zusammenfassen können. Genau genommen hörte er aus Chiaras Rede die Stimme seiner Frau heraus.
    »Ganz so einfach ist das alles nicht, Liebes.« Er zog an seiner Krawatte. »Chiara, sei ein Engel und hol deinem armen alten Vater ein Glas Wein aus der Küche, ja?«
    »Klar.« Sie warf ihren Stift hin, bereit, das Thema jetzt auf sich beruhen zu lassen. »Weiß oder rot?«
    »Sieh mal nach, ob noch etwas von dem Prosecco da ist.

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