Brunetti 02 - Endstation Venedig
Menschenlebens zu sehen. Für ihn war das Ganze nicht mehr und nicht weniger als ein Schlag gegen den Tourismus, und um dieses öffentliche Gut zu schätzen, würde Patta sicher verrückt spielen.
Er stand auf und ging die Treppe zu den größeren Büroräumen hinunter, in denen die uniformierten Polizisten arbeiteten. Beim Eintreten sah er Luciani, dem von seinem morgendlichen Bad im Kanal nichts mehr anzumerken war. Brunetti schauderte bei der Vorstellung, mit dem Wasser eines der Kanäle in Berührung zu kommen, nicht der Kälte wegen, sondern wegen der Verschmutzung. Er hatte oft gewitzelt, daß er es lieber nicht überleben wolle, sollte er einmal in einen Kanal fallen. Und doch war er als Junge im Canal Grande geschwommen, und ältere Leute, die er kannte, hatten ihm erzählt, daß sie früher das Salzwasser der Kanäle und der Lagune zum Kochen nehmen mußten, damals, als Salz zu den teuren und hochbesteuerten Gütern gehörte und die Venezianer arme Leute waren, weil es noch keine Tourismusindustrie gab.
Vianello war gerade am Telefon, als Brunetti hereinkam, und winkte ihn an seinen Schreibtisch. »Ja, Onkel, das weiß ich«, sagte er. »Aber was ist mit seinem Sohn? Nein, nicht der, der letztes Jahr den Arger in Mestrino hatte.«
Während er der Antwort seines Onkels lauschte, nickte er Brunetti zu und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, zu warten, bis er sein Gespräch beendet hatte. Brunetti setzte sich und hörte den Rest des Telefonats mit an. »Wann hat er zuletzt gearbeitet? In Breda? Komm schon, Onkel, du weißt, daß er nicht in der Lage ist, irgendeine Arbeit so lange zu behalten.« Vianello verstummte und hörte lange zu, dann sagte er: »Nein, nein, wenn du etwas von ihm hörst, vielleicht, daß er plötzlich viel Geld hat, dann laß es mich wissen. Ja, ja, Onkel, und gib Tante Luisa einen Kuß von mir.« Es folgte eine lange Reihe jener zweisilbigen »ciaos «, ohne die ein Venezianer offenbar kein Gespräch beenden konnte.
Als er aufgelegt hatte, wandte Vianello sich an Brunetti und sagte: »Das war mein Onkel Carlo. Er wohnt in der Nahe von Fondamenta Nuove, bei Santi Giovanni e Paolo. Ich habe ihn über die Gegend befragt - wer dort Drogen verkauft, wer welche nimmt. Der einzige, den er kennt, ist dieser Vittorio Argenti.« Brunetti nickte bei dem Namen. »Wir hatten ihn schon x-mal hier. Aber mein Onkel sagt, vor einem halben Jahr hätte er eine Arbeit in Breda angenommen, und wenn ich es mir recht überlege, haben wir ihn genau so lange nicht mehr hier gehabt. Ich kann in den Unterlagen nachsehen, aber ich glaube, ich würde mich erinnern, wenn wir ihn aus irgendeinem Grund aufgegriffen hätten. Mein Onkel kennt die Familie und schwört, alle seien überzeugt, daß Vittorio sich verändert hat.« Vianello zündete sich eine Zigarette an und blies das Streichholz aus. »So wie mein Onkel redet, klingt es, als sei er auch überzeugt.«
»Gibt es außer Argenti noch jemanden in der Gegend?«
»Offenbar war es vor allem er. Es hat in dem Teil der Stadt nie viel Probleme mit Drogen gegeben. Ich kenne Noe, den Mullmann, und er hat sich nie beklagt, daß er morgens Spritzen auf der Straße gefunden hat, nicht wie in San Maurizio«, sagte er. San Maurizio war ein für Drogen berüchtigter Stadtteil.
»Was ist mit Rossi? Hat er etwas in Erfahrung gebracht?«
»Weitgehend dasselbe, Commissario. Die Gegend ist eigentlich ruhig. Gelegentlich gibt es mal einen Raub oder einen Einbruch, aber mit Drogen war da nie viel los, und Gewalt hat es nie gegeben«, sagte er und fügte hinzu: »Vor diesem Fall.«
»Und die Leute in den umliegenden Häusern? Haben sie etwas gehört oder gesehen?«
»Nein, Commissario. Wir haben mit allen gesprochen, die heute morgen auf dem Campo waren, aber niemand hat etwas Verdachtiges gehört oder gesehen. Dasselbe gilt für die Leute in den Häusern.« Er ahnte Brunettis nächste Frage. »Puccetti sagt dasselbe, Commissario.«
»Wo ist Rossi?«
Ohne das geringste Zögern antwortete Vianello: »Er ist einen Kaffee trinken gegangen. Müßte eigentlich gleich zurück sein, wenn Sie mit ihm sprechen wollen.«
»Was ist mit den Tauchern?«
»Sie waren über eine Stunde im Wasser. Aber sie haben nichts zutage gefördert, was man als Waffe bezeichnen könnte. Den üblichen Mist: Flaschen, Tassen, sogar einen Kühlschrank und einen Schraubenzieher, aber nichts, das auch nur annähernd eine Waffe sein konnte.«
»Und Bonsuan? Hat einer mit ihm über die Gezeiten
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