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Brunetti 02 - Endstation Venedig

Brunetti 02 - Endstation Venedig

Titel: Brunetti 02 - Endstation Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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versteckte Kritik in ihren Worten. »Danke, Paola. Dann bis gegen sieben.«
    »Ciao, Guido«, und weg war sie, wieder bei William Faulkner, und gab ihn frei für seine Arbeit, gab ihn frei, ohne daß er Schuldgefühle wegen der Anforderungen dieser Arbeit haben mußte.
    Es war fast fünf, und immer noch hatten die Amerikaner sich nicht wieder gemeldet. Einen Moment lang war er versucht anzurufen, aber er verkniff es sich. Wenn einer ihrer Leute vermißt würde, mußten sie mit ihm Kontakt aufnehmen. Schließlich hatte er, um es deutlich zu sagen, die Leiche. Er suchte zwischen den Personalbeurteilungen, die immer noch vor ihm lagen, bis er die von Luciani und Rossi fand. Bei beiden fügte er eine Bemerkung hinzu, daß sie weit über ihre normalen Pflichten hinausgegangen seien, indem sie in den Kanal gestiegen waren, um die Leiche herauszuholen. Sie hätten auf ein Boot warten oder Stangen benutzen können, aber sie hatten etwas getan, wovon er nicht wußte, ob er dazu mutig genug oder willens gewesen wäre.
    Das Telefon klingelte. »Brunetti.«
    »Hier ist Captain Duncan. Wir haben alle Dienstposten überpruft und festgestellt, daß ein Mann heute nicht zur Arbeit erschienen ist. Ihre Beschreibung paßt auf ihn. Ich habe jemanden zu seiner Wohnung geschickt, aber da ist er nicht, deshalb würde ich Ihnen gern jemanden schicken, der ihn sich ansieht.«
    »Wann, Captain?«
    »Heute abend, wenn es geht.«
    »Natürlich. Wie schicken Sie ihn?«
    »Entschuldigung, ich verstehe nicht ganz.«
    »Ich wüßte gern, auf welchem Weg er kommt, mit dem Zug oder mit dem Auto, damit ich ihn abholen lassen kann.«
    »Ach so«, antwortete Duncan. »Mit dem Auto.«
    »Dann schicke ich jemanden zum Piazzale Roma. Dort ist eine Carabinieristation, wenn man auf den Platz kommt, rechts.«
    »Gut. Der Wagen ist in etwa fünfzehn Minuten hier, sie müßten dann in einer knappen Stunde da sein, ungefähr Viertel vor sieben.«
    »Wir stellen ein Boot bereit. Er muß zur Friedhofsinsel fahren, um die Leiche zu identifizieren. Ist es jemand, der den Mann kannte, Captain?« Brunetti wußte aus langer Erfahrung, wie schwierig es war, einen Toten nach einem Foto zu identifizieren.
    »Ja, es ist sein vorgesetzter Offizier im Krankenhaus.«
    »Krankenhaus?«
    »Der Vermißte ist unser Inspektor für das Gesundheitswesen, Sergeant Foster.«
    »Sagen Sie mir bitte noch den Namen des Mannes, der kommt.«
    »Captain Peters. Terry Peters. Und, Commissario«, fügte Duncan hinzu, »der Captain ist eine Frau.« Es lag mehr als nur eine Spur Hinterhältigkeit in seinem Ton, als er dann noch hinzufügte: »Und Captain Peters ist auch noch Doctor Peters.«
    Was wurde von ihm erwartet, fragte sich Brunetti. Sollte er sich darüber entsetzen, daß die Amerikaner Frauen in ihre Armee aufnahmen? Oder daß sie ihnen sogar gestatteten, Ärztinnen zu sein? Statt dessen beschloß er, den klassischen Italiener zu mimen, der einer Versuchung nicht widerstehen konnte, solange sie in einem Rock daherkam, auch wenn es der Rock einer Militäruniform war. »Sehr gut, Captain. In dem Fall werde ich Captain Peters selbst in Empfang nehmen. Doctor Peters.« Er wolle außerdem mit Fosters Kompaniechef sprechen.
    Duncans Antwort kam mit ein paar Sekunden Verzögerung, aber er sagte nur: »Das ist sehr entgegenkommend von Ihnen, Commissario Brunetti. Ich sage Captain Peters, sie soll nach Ihnen fragen.«
    »Ja, tun Sie das«, antwortete Brunetti und legte auf, ohne zu warten, daß der andere sich verabschiedete. Sein Ton war, wie er ohne Bedauern feststellte, etwas zu harsch gewesen; es passierte ihm oft, daß er sich durch das, was er zwischen den Worten herauszuhören glaubte, zu Uberempfindlichkeiten hinreißen ließ. Früher, bei Interpol-Seminaren mit amerikanischer Beteiligung und während einer dreimonatigen Ausbildung in Washington, war er oft auf dieses nationale Bewußtsein moralischer Überlegenheit gestoßen, diesen unter Amerikanern so verbreiteten Glauben, daß es ihnen irgendwie aufgegeben sei, einer von Irrtümern verdunkelten Welt als strahlendes moralisches Licht zu leuchten. Vielleicht traf das hier gar nicht zu, vielleicht mißdeutete er Duncans Ton, und der Captain hatte Brunetti nur eine Peinlichkeit ersparen wollen. Wenn das so war, hatte er mit seiner Reaktion sicher alles dazu getan, sämtliche Klischees über die heißblütigen und dünnhäutigen Italiener zu bestätigen.
    Er schüttelte verdrießlich den Kopf, wählte eine Leitung nach draußen an und

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