Brunetti 03 - Venezianische Scharade
weitere reife Tomate aus der Spüle zu angeln. Sie schnitt sie in dicke Scheiben und legte sie zu den anderen, die sie bereits kreisförmig auf einer großen Keramikplatte angeordnet hatte.
Er machte die Kühlschranktür auf und nahm eine Flasche Mineralwasser heraus, dann aus dem Hängeschrank ein Glas. Er schenkte das Glas voll, trank aus, trank noch eines, schraubte die Flasche zu und stellte sie wieder in den Kühlschrank.
Vom untersten Brett des Regals nahm er eine Flasche Prosecco. Er riß das Silberpapier vom Korken und drückte ihn dann langsam mit beiden Daumen nach oben, wobei er ihn sanft hin- und herbewegte. Als der Korken aus der Flasche floppte, hielt er sie schräg, damit nichts heraussprudelte. »Wie kommt es, daß du bei unserer Heirat wußtest, wie man eine Flasche Prosecco richtig aufmacht, und ich nicht?« fragte er, während er Schaumwein in sein Glas goß.
»Das hat mir Mario beigebracht«, erklärte sie, und er wußte gleich, daß sie von den etwa zwanzig Marios, die sie kannten, ihren Vetter meinte, den Weinhändler.
»Möchtest du welchen?« fragte er.
»Gib mir einen Schluck von deinem, bei dieser Hitze trinke ich nicht gern Alkohol, er steigt mir direkt in den Kopf.« Er legte den Arm um sie und hielt ihr sein Glas an die Lippen, und sie nahm einen kleinen Schluck. »Basta«, sagte sie. Er zog das Glas zurück und trank selbst.
»Gut«, murmelte er. »Wo sind die Kinder?«
»Chiara ist draußen auf dem Dachgarten. Sie liest.« Tat Chiara je etwas anderes außer sich mit mathematischen Problemen auseinanderzusetzen und um einen Computer zu betteln?
»Und Raffi?« Der steckte sicher bei Sara, aber Brunetti fragte trotzdem immer.
»Bei Sara. Er bleibt zum Abendessen bei ihr, und dann gehen sie zusammen ins Kino.« Sie lachte, amüsierte sich über die hündische Ergebenheit, mit der Raffi seiner Sara Paganuzzi nachlief, dem Mädchen, das zwei Stockwerke unter ihnen wohnte, andererseits aber war sie erleichtert darüber, daß er sie gefunden hatte. »Ich hoffe, er schafft es, sich zwei Wochen von ihr loszureißen, um mit uns in die Berge zu fahren«, sagte Paola, die das ganz und gar nicht ernst meinte; die Aussicht auf zwei Wochen in den Bergen oberhalb von Bozen, fern der quälenden Hitze der Stadt, konnte selbst Raffi von den Wonnen junger Liebe weglocken. Außerdem hatten Saras Eltern gesagt, sie dürfe Raffis Familie über ein Wochenende besuchen. Paola selbst, ihrer Dozententätigkeit an der Universität für weitere zwei Monate enthoben, freute sich auf kaum unterbrochene Tage des Lesens.
Brunetti sagte nichts dazu, goß sich nur ein halbes Glas Wein nach. »Caprese?« - fragte er mit einer Kopfbewegung zu dem Tomatenkreis auf der Platte vor Paola.
»Welch detektivischer Spürsinn«, sagte Paola und griff nach der nächsten Tomate. »Er sieht einen Kreis aus Tomatenscheiben, und zwischen den einzelnen Scheiben ist etwas Platz gelassen, gerade genug für ein Stück Mozzarella, und dann sieht er das frische Basilikum in einem Glas links neben seiner holden Angebotenen, direkt neben dem Teller mit frischer Mozzarella. Und er zählt zwei und zwei zusammen und errät blitzschnell, daß es insalata caprese zum Abendessen gibt. Kein Wunder, daß so ein Mann die Kriminellen dieser Stadt in Angst und Schrecken versetzt.« Dabei drehte sie sich um und lächelte ihn an, um an seiner Reaktion seine Stimmung abzulesen und festzustellen, ob sie womöglich zu weit gegangen war. Als sie sah, daß dem offenbar so war, nahm sie ihm das Glas aus der Hand und trank einen kleinen Schluck. »Was ist passiert?« fragte sie, als sie es ihm zurückgab.
»Ich habe einen Fall in Mestre übertragen bekommen.« Und bevor sie ihn unterbrechen konnte, fuhr er fort: »Zwei von ihren Commissari sind im Urlaub, einer liegt mit gebrochenem Bein im Krankenhaus, und eine ist im Mutterschutz.«
»Dann hat Patta dich also an Mestre abgegeben?«
»Es ist kein anderer da.«
»Guido, es gibt immer einen anderen. Erst mal ist da Patta selbst. Es könnte ihm nicht schaden, wenn er mal was anderes tun würde, als nur in seinem Büro herumzusitzen, irgendwelche Papiere zu unterschreiben und die Sekretärinnen zu betatschen.«
Brunetti fand die Vorstellung, sich von Patta betatschen zu lassen, etwas abwegig, aber das behielt er für sich.
»Na?« fragte sie, als er nicht reagierte.
»Er hat Probleme«, sagte Brunetti.
»Dann stimmt es also?« fragte sie. »Ich wollte dich schon den ganzen Tag anrufen und fragen, ob
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