Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Hochprozentiges, wenn es so heiß ist.«
»Ich weiß, was du meinst. Ich habe seit drei Jahren keinen Sommer mehr hier verbracht und hatte ganz vergessen, wie fürchterlich es sein kann. An manchen Abenden, bei Ebbe, wenn ich irgendwo auf der anderen Seite des Kanals bin, habe ich das Gefühl, mich von dem Gestank übergeben zu müssen.«
»Merkst du hier nichts davon?« wollte Brunetti wissen.
»Nein, der Canale della Giudecca ist offenbar tiefer oder fließt schneller oder so etwas. Wir haben den Gestank hier nicht. Jedenfalls noch nicht. Wenn sie weiterhin die Kanäle ausbaggern, um diese Monsterschiffe - wie nennt man sie? Supertanker? - durchfahren zu lassen, dann Gnade Gott der laguna.«
Während er das sagte, ging Padovani zu dem langen Holztisch, der für zwei gedeckt war, und goß aus einer schon geöffneten Flasche Dolcetto etwas in die beiden Gläser. »Die Leute glauben, daß eine Überschwemmung oder sonst eine Naturkatastrophe der Stadt den Garaus machen wird. Meiner Ansicht nach ist die Antwort viel einfacher«, sagte er im Zurückkommen und reichte Brunetti ein Glas.
»Und die wäre?« erkundigte der sich, nippte an seinem Wein und befand ihn für gut.
»Ich glaube, wir haben die Meere kaputtgemacht, und es ist nur eine Frage der Zeit, bevor sie anfangen zu stinken. Und da die laguna nur eine Darmschlinge der Adria ist, die wiederum eine Darmschlinge des Mittelmeers ist, das... du merkst, worauf ich hinauswill? Ich glaube, die Gewässer werden schlicht sterben, woraufhin wir die Stadt aufgeben oder die Kanäle auffüllen müssen, und in dem Fall hat es keinen Sinn mehr, hier noch leben zu wollen.«
Das war eine neue Theorie, sicher nicht weniger düster als viele andere, die er schon gehört hatte, als viele, an die er selbst mehr oder weniger glaubte. Alle redeten dauernd vom bevorstehenden Untergang der Stadt, und doch verdoppelten sich die Kaufpreise für Wohnungen alle paar Jahre, und die Mieten kletterten immer weiter über das hinaus, was der Durchschnittsverdiener noch bezahlen konnte. Aber die Venezianer hatten Immobilien schon zur Zeit der Kreuzzüge gekauft und verkauft, während der Pest und allerlei Besetzungen durch fremde Heere; da konnte man wohl sicher darauf setzen, daß sie es auch weiterhin tun würden, egal was für Ökokatastrophen sie erwarteten.
»Alles ist fertig«, sagte Padovani, während er sich in einem der tiefen Sessel niederließ. »Ich muß nur noch die Pasta ins Wasser werfen. Aber warum erzählst du mir nicht, was du eigentlich von mir wissen willst, damit ich etwas zum Nachdenken habe, während ich rühre?«
Brunetti saß ihm gegenüber auf dem Sofa. Er trank noch einen Schluck Wein, bevor er mit wohlüberlegten Worten anfing. »Ich habe Grund anzunehmen, daß Santomauro mit einem prostituto travestito zu tun hat, der in Mestre wohnt und anscheinend auch arbeitet.«
»Was meinst du mit ›zu tun hat‹?« fragte Padovani in ausgesucht neutralem Ton.
»Sexuell«, antwortete Brunetti schlicht. »Aber er behauptet, auch sein Anwalt zu sein.«
»Das eine schließt das andere ja nicht aus, oder?«
»Nein. Wohl kaum. Aber seit ich ihn in der Wohnung dieses jungen Mannes getroffen habe, versucht er zu verhindern, daß ich mich näher mit ihm befasse.«
»Mit wem?«
»Mit dem jungen Mann.«
»Aha«, sagte Padovani und nippte an seinem Weinglas. »Noch etwas?«
»Der andere, den ich dir genannt habe, Leonardo Mascari, ist der Mann, dessen Leiche am Montag auf einer Wiese in Mestre gefunden wurde.«
»Der Transvestit?«
»Wie es aussieht.«
»Und welchen Zusammenhang gibt es da?«
»Der junge Mann, Santomauros Klient, hat behauptet, Mascari nicht zu kennen. Aber er kennt ihn.«
»Woher weißt du das?«
»Das mußt du mir schon glauben, Damiano. Ich weiß es einfach. Ich habe es zu oft gesehen, um es nicht zu wissen. Er hat ihn auf dem Bild erkannt und es dann geleugnet.«
»Wie heißt der junge Mann?« fragte Padovani.
»Das kann ich dir nicht sagen«, versetzte Brunetti. Worauf beide in Schweigen versanken.
»Guido«, sagte Padovani endlich, während er sich vorbeugte, »ich kenne einige dieser Jungen aus Mestre. Früher kannte ich viele. Wenn ich dir in dieser Angelegenheit als schwuler Berater dienen soll«, er sagte das ganz ohne Ironie oder Verbitterung, »muß ich den Namen wissen. Ich versichere dir, daß von dem, was du mir erzählst, nichts weitergeht, aber ich kann keine Verbindungen herstellen, wenn ich seinen Namen nicht kenne.« Brunetti
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